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Zutiefst verstörend: Missbrauchsdrama 'Precious'

Zutiefst verstörend: Missbrauchsdrama 'Precious'

Precious hat nichts von einer typischen Traumfabrik-Heldin und ist doch spätestens seit den Oscars in aller Munde. Denn das Schicksal dieses dicken schwarzen Mädchens, das die blutige Schauspielanfängerin Gabourey Sidibe so uneitel und mit so viel Liebe zu ihrer Figur verkörpert, dass es ihr gleich eine Nominierung für den wichtigsten Filmpreis einbrachte, lässt niemand kalt.

Ihre Hautfarbe und ihr Übergewicht sind nicht Precious’ größte Probleme. Precious wurde jahrelang von ihrem eigenen Vater missbraucht. Er hat sie vergewaltigt, zwei Mal geschwängert und mit dem HI-Virus angesteckt. Precious’ Mutter, mit größtmöglicher Intensität und tiefer Verzweiflung verkörpert von Mo’Nique („Phat Girlz“, „Domino“), beschützt ihre Tochter nicht vor dem pädophilen Vater, sondern wirft ihr vor, ihn ihr ausgespannt zu haben. Und schlägt und missbraucht das Mädchen selbst.

Als Zuschauer möchte man, nachdem man das erfahren hat und zum Teil sogar ansehen musste, am liebsten gleich an die frische Luft. Umso erstaunlicher ist es, wie Precious mit ihrem Leben umgeht. Während ihr erstes Kind, das unter Down-Syndrom leidet, bei einer Pflegefamilie untergebracht ist, versucht Precious, schwanger mit dem zweiten Kind ihres Vaters, zumindest eine Art Sonderschulabschluss nachzumachen.

Während sich ihre zumindest wohlmeinende Lehrerin (Paula Patton) vergeblich bemüht, die Tragweite der familiären Tragödie überhaupt zu begreifen, flüchtet sich Precious in eine Traumwelt, in der sie so weiß und schlank ist wie Madonna oder als coole Hip-Hop-Braut ihre Feinde in die Flucht rappt.

Doch auch als 200-Kilo-Mädchen hat Precious die Lacher und die Sympathien auf ihrer Seite. Auch wenn man ihr Unterschicht-Englisch schlecht versteht und manchmal entsetzt ist, wie stoisch sie die permanenten Gewaltübergriffe hinnimmt, bewegt diese Figur in jedem Zuschauer etwas. Das liegt vor allem an der sympathischen Hauptdarstellerin Gabourey Sidibe, die sich in ihrer ersten Rolle überhaupt als Naturtalent erweist.

Wen interessiert es da noch, dass Lenny Kravitz einen Gastauftritt als Krankenpfleger hat und Mariah Carey in einer für sie völlig ungewöhnlichen Rolle als verhuschte Sozialarbeiterin mit braunen Ponyfransen die erste glaubwürdige Schauspielvorstellung ihres Lebens gibt? Gabourey Sidibe erobert trotz des Phlegmas ihrer Figur die Herzen im Sturm. Den Oscar hat allerdings eine andere bekommen: Mo’Nique, die völlig zu Recht als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet wurde. Wie sie als gewalttätige Mutter vor der teilnahmslosen Sozialarbeiterin zusammenbricht, ist eine extrem ergreifende Vorstellung.

Von Mireilla Zirpins

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