Willem Dafoe im Interview

Interview: Mireilla Zirpins
Willem, wie war es für dich, dass dein Film „Antichrist“ hier in Cannes so erregte Reaktionen hervorgerufen hat?
Ich war ganz auf Lars von Triers Seite, als in der Pressekonferenz dieser Idiot aufgesprungen ist und gerufen hat: ‚Wie wagen Sie es, uns hier mit diesem Film zu kommen?’ Ich bin da ganz Lars’ Meinung, dass man die Filme ja erst einmal für sich selbst macht. Ich möchte schon, dass die Leute meine Arbeit mögen. Aber ich kann ihnen doch nicht nur das bieten, was sie gerne möchten. Das wäre dann kein Vergnügen für mich. Man kann seine Performance ruinieren, wenn man zu sehr über die Reaktionen des Publikums nachdenkt. Ich habe beschlossen, zu diesem Film keine Kritiken zu lesen. Ich finde es aber lächerlich, dass die Journalisten in ihren Texten darüber berichten, wie ihre Kollegen in der Pressevorführung reagiert haben. Haben die keine eigene Meinung? Außerdem interessiert doch auch, wie das normale Publikum reagiert. Das ist hier das Cannes-Filmfestival und nicht Paris-Hilton-Land!

Normalerweise fehlt mir da die Distanz, wenn ich mich auf der Leinwand sehe und ich (macht eine verzweifelte bis beschämte Geste) denke: ,Was, ist das alles? Ich dachte, wir machen etwas Großartiges.’ Das geht mir selbst bei erfolgreichen Filmen so. Aber ich mag „Antichrist“ sehr. Er lässt etwas bei dir zurück. Ich kann den Film nicht abschütteln.

In dem Drehbuch war schon eine Menge schockierendes Zeug drin. Mir war schon klar, dass es eine Kontroverse geben würde.
War dir denn da auch schon klar, wie viel du nackt zu sehen sein würdest?
Oh, im Drehbuch waren noch viel mehr Nacktszenen vorgesehen, und wir haben auch einige mehr gedreht, als man jetzt zu sehen bekommt.

Es ist immer hart, aber man gewöhnt sich nach einer Zeit daran. Das Schlimmste fand ich, dass Lars so gern mit der Handkamera ganz nah dran geht. Da bekommt man Aufnahmen von sich selbst, die nicht gerade schmeichelhaft sind. Unschön, aus was für Winkeln man da gefilmt wird.

Breites Grinsen, Kunstpause. Es ist schon eine komische Doppel-Perspektive. Man soll da Liebe machen, hat aber auch technische Verantwortung, immer zu wissen, wo die Kamera ist. Beim Sex ist das… Wie soll ich sagen? Es ist schon komisch, sich gleichzeitig von innen und von außen zu betrachten. Das ist selbst seltsam, wenn man Sex simuliert.

Lars hat mich gleich gewarnt, dass er ein paar Pornosequenzen vorgesehen hatte und wollte, dass die Figuren auch Genitalien haben. Aber er hat uns nicht gefragt, ob wir es selbst machen wollen. Ich weiß auch nicht, ob ich es getan hätte oder nicht, wenn er gefragt hätte. Aber ich denke, dass es nicht gut gewesen wäre. Dann wäre es auf einmal ein Film gewesen mit zwei bekannten Darstellern, die es vor der Kamera wirklich treiben, und die Leute reden nicht mehr richtig über den Film. Nun bekommt man in dem Film schon einen guten Eindruck von echtem Sex, aber man geht nicht aus dem Kino und sagt: ‚Fuck, so sieht also Willem Dafoes Schwanz aus.’ Ich natürlich sowieso nicht. Ich denke: ‚Meiner ist schöner.’

Oh, ich wusste nicht, dass das in seinem Buch ist. Werde ich gerade etwa rot?
Die Leute reagieren vermutlich so stark auf den Film, weil es um existenzielle Ängste geht. Welche deiner Ängste spiegelt sich in dem Film wieder?
Ich denke die ganze Zeit drüber nach, aber ich werde es dir nicht verraten. Abgesehen davon ändert es sich die ganze Zeit. Mein größter Ehrgeiz als Schauspieler und Mensch ist es, meine Ängste zu überwinden. Ganz wird mir das nicht gelingen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
