Wer will schon Paris als die Päpstin sehen?

Interview: Sebastian Schmidt
Waren Sie zu den Dreharbeiten in Deutschland?
Ja. Gott, hat das Spaß gemacht! Ich war eine Woche in der unglaublichen kleinen Stadt Querfurt. Ich hätte nicht geglaubt, dass Orte wie diese noch existieren könnten. Und ich schätze es liegt daran, dass sie in der damaligen DDR lagen und sich die Strukturen deshalb erhalten haben. Es war, als hätte ich eine Reise in die Vergangenheit unternommen. Wenn man seine Texte in einem dunklen, verlassenen Arbeitszimmer schreibt, fragt man sich, ob das Sinn ergibt oder überhaupt jemals veröffentlicht wird. Doch dann stehe ich da auf einmal am Set, Sönke Wortmann ruft ’Action!’, und hunderte Menschen und ein paar Schweine rennen los - alles nur, weil ich damals in meinem stillen Kämmerlein gesessen habe.
Haben Sie einige Worte, die Sie geschrieben haben, auch in den Filmszenen wiedererkannt?
Ja, natürlich. In einer Marktszene sagt Gerold zu Johanna: “Vielleicht könnten wir es zusammen bauen.“ Und ich erinnerte mich am Set sofort daran, wie ich es niedergeschrieben habe. Ich mochte generell die Szenen zwischen Johanna und Gerold sehr gern, weil sie Grundsatzfragen thematisieren. Welche Opfer bringt eine Frau, auch heute noch, z.B. um Richterin am Obersten Gerichtshof zu werden oder für Liebe und Familie? Das sind Fragen, die uns schon lange umtreiben.

Ja. Das Buch ist in 31 Sprachen erschienen, und auf meiner Website PopeJoan.com kann man den Stimmen so vieler Frauen aus den verschiedensten Ländern entnehmen, wie inspirierend Johanna als Beispiel für das Überwinden von Hindernissen ist. Auch heute noch wird Frauen unterstellt, dass sie nicht denken und vernünftig urteilen können. Manche Männer glauben sogar, dass es gefährlich ist, uns im Lesen und Schreiben zu unterrichten. Gerade in diesem Augenblick werden Mädchen in Pakistan, Afghanistan oder Algerien daran gehindert, zur Schule zu gehen. Ich weiß nicht, ob es im Film vorkommt, aber in der Vorstellung jener Zeit ist eine Frau umso weniger fruchtbar, je mehr man ihr beibringt, denn Gehirn und Gebärmutter sind zueinander umgekehrt proportional. Ich muss zugeben, dass ich Gefallen an dieser Idee finde, auch wenn sie frauenfeindlich ist. Wenn das wahr wäre, müssten man als Frau nur ein Buch lesen, wenn man kein Baby bekommen möchte!
Denken Sie, das Buch bzw der Film richtet sich hauptsächlich an Frauen?
Ich schätze schon. Als ich das Buch geschrieben habe, hatte ich meine eigene Tochter im Hinterkopf. Ich war überrascht, dass so viele Männer das Buch mögen. Ich habe mir aber auch Mühe gegeben, es abwechslungsreich zu schreiben. Eines der letzten Dinge, die ich getan habe bevor ich das Manuskript eingereicht habe, und das habe ich vorher noch niemandem erzählt, war 100 Seiten komplett zu streichen. Schriftsteller nennen das “Murdering your Darlings“, die Lieblinge töten. Und ich habe viele Lieblinge getötet.

Abgesehen von Johannas Leben ist der historische Gehalt fast hundertprozentig richtig. Es verärgert mich, wenn Leute sagen: Sie hat keine Ahnung, sie benutzt das Wort “corn“, und das stammt aus der Neuzeit. Das stimmt nicht. Wir haben im Englischen zwei Worte, “corn“ und “maize“. “Corn“ geht bis ins 2. Jahrhundert zurück. Ich habe ein Rezept für “corn“ aus einem Dokument des 9. Jahrhunderts. In der Übersetzung ins Französische geht das verloren, was ärgerlich ist. In der neuen amerikanischen Edition habe ich das Wort in barley-corn, also Gerstenkorn, umgeändert. In Bezug auf Johannas tatsächliche Geschichte existieren 15 Seiten, die das Skelett des Buches bilden. Daran habe ich mich eng gehalten. Der englische Vater, der als Missionar die heidnischen Sachsen konvertieren will. Ihre Zeit in Fulda, ihre Verkleidung als Mann, ihr Aufstieg als Vertraute von Papst Sergius, die umstrittene Papstwahl um Leo, ihr Tod im Kindbett. Also würde ich sagen Johannas Geschichte ist zu 20 Prozent authentisch, weil wenig Hintergrundmaterial vorhanden war und ich ein dickes Buch daraus gemacht habe.
Johanna probiert ihren Urin - der ungewöhnlichste Schwangerschaftstest, den ich je gesehen habe. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Das ist eine historische Begebenheit, die dem Großneffen von Karl dem Großen wirklich passiert ist. Notker war ein angesehener Arzt, der im 9. Jahrhundert Diagnosen mit Hilfe von Urin erstellen konnte. Ein Graf rief ihn zu sich nach Hause, um ihn auf die Probe zu stellen und gab in den Urin einer schwangeren Frau. Notker sagte: Das ist ein Wunder, der Graf wird ein Kind gebären. Bei Johanna ist es natürlich fiktional. Aber es basiert auf einer wahren Begebenheit.

In den USA stand das immer noch nicht auf der Bestsellerliste. In Deutschland vermarktete mein Verleger das Buch gleich von Anfang an mit einer großen Kampagne. Als ich nach Deutschland fuhr, sah ich auf den Autobahnen große Reklametafeln mit dem Spruch: Papst Johannes Paul II kommt im September, die Päpstin Johanna können Sie jetzt schon treffen. Außerdem gab es eine eigene Weinsorte aus Ingelheim mit dem Buchcover als Label. In der Verlagswelt gibt es die sogenannte Self-fulfilling Prophecy: Bücher, die ein Verleger als bedeutend ansieht und in die er viel Geld investiert hat, laufen dann auch wirklich am besten.
Einige Kritiker beklagen, dass Johanna zu modern und feministisch für ihre Zeit ist.
Ich muss leider sagen, dass diese Kritiker keine Ahnung von Geschichte haben. Johanna ist nicht modern, denn sie blickt nicht auf unsere Zukunft voraus, sondern ist sehr altertümlich. Sie sieht zurück. Wenn Sie mich vor dem Buch gefragt hätten, ob ich Feministin bin, hätte ich nein gesagt. Ich komme aus dieser Generation, aber ich habe niemals einen BH verbrannt. Das wäre sehr unpraktisch gewesen, sehen Sie mich nur an. Aber während der langwierigen Recherche für mein Buch fand ich heraus, was Frauen im Laufe der Geschichte angetan wurde. Ich habe gemerkt, dass die Geschichte der Frauenrechte viel länger als bis auf unsere Seneca Falls Conference und das Frauenwahlrecht zurückgeht. Wenn Sie mich heute fragen, sage ich ja.

Ich denke, ein guter Autor von Historien kann auch starke weibliche Charaktere zum Leben erwecken. Sehen Sie, für mich ist Feminismus nicht Feminismus, sondern Humanismus. Es bedeutet, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben sollten, sich ihren Talenten gemäß zu entwickeln. Es ist keine Einstellung gegen Männer oder gegen Frauen. Also sollte es auch möglich sein, dass ein Mann diese Geschichte schreibt.
Gefällt Ihnen Johanna Wokalek in der Hauptrolle?
Ja. Stellen Sie sich nur vor, wie schauerlich das ist: Den Kern dieser Geschichte bildet eine intelligente Frau, der es verboten ist, zu lesen oder sich anderweitig intellektuell auszuleben, das ist der Hauptkonflikt. Für eine Weile war eine Hollywoodverfilmung im Gespräch, und ich dachte: Mein Gott! Sie können sich nicht vorstellen, welche Püppchen im Gespräch waren. Kennen Sie Paris Hilton? Gibt es da irgendetwas zwischen ihren Ohren? Ich habe es noch nicht bemerkt, deshalb war es mir eine große Freude, dass eine äußerst intelligente Frau wie Johanna Wokalek die Rolle übernommen hat.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
