Traurigste Braut der Welt: Kirsten Dunst in 'Melancholia'

4,5 von 5 Punkten

Normalerweise sind Starlets wie Bai Ling in Cannes für die Skandale zuständig und lassen auf dem roten Teppich die Hüllen fallen. Dass aber ein Regisseur immer wieder mit Peinlichkeiten auf sich aufmerksam macht, ist die Ausnahme. Die meisten Autorenfilmer möchten das Interesse lieber auf ihr Werk gerichtet wissen. Nicht so Lars von Trier. Im Jahr 2009 schockierte er die Festivalbesucher mit pornographischen Szenen und einer abgeschnittenen Klitoris in seinem Wettbewerbsbeitrag „Antichrist“, zwei Jahre später legte er noch einen drauf und outete sich in der Pressekonferenz zu seinem neuen Film „Melancholia“ als Nazi, der Verständnis für Hitler empfindet.

Seine Hauptdarstellerinnen Kirsten Dunst und Charlotte Gainsbourg versuchten, peinlich berührt, vor laufenden Kameras über ihr Entsetzen hinwegzulächeln. Was Lars von Trier davon hatte? Die Festivalleitung erklärte ihn zur persona non grata, er darf das Festivalgelände nie mehr betreten, und keiner interessierte sich mehr für den Film. Schade, denn der Film hat inhaltlich mit den Äußerungen seines Regisseurs nichts zu tun und verdient als Kunstwerk Beachtung, denn er ist ein wunderbar poetischer Abgesang an unsere Konsum-Gesellschaft und eine bedrohlich realistische Weltuntergangsfantasie.

Dabei lässt in der ersten Stunde nichts darauf deuten, dass man es hier mit Bildern wie in einem Science-Fiction-Film zu tun bekommen könnte. Alles fängt ganz sonnig und beschwingt an. Braut Justine (Kirsten Dunst) und ihr Gatte in spe (Alexander Skarsgård) bleiben in der Stretchlimo auf den Serpentinen zur Hochzeitslocation stecken. Kichernd legt die Braut selbst Hand ans Steuer und rammt das Gefährt prompt in eine Mauer. Als die beiden das Schloss zu Fuß erreichen, ist die Feier schon zur Hälfte gelaufen. Der Zuschauer wird sich bald wünschen, er hätte den Rest auch verpasst. Denn obwohl alles sehr humorvoll beginnt, geben es sich die Reichen und Schönen auf dieser Hochzeit so dreckig, dass einem bald das Lachen im Halse stecken bleibt.

Der Brautvater (John Hurt) schießt in seiner Rede seiner Ex-Frau (Charlotte Rampling) verbal derart vor den Bug, dass diese in der Badewanne verschwindet, der Boss der Frisch Getrauten will seine Angestellte noch während der Zeremonie ans Arbeiten kriegen, der Schwager der Braut (Kiefer Sutherland) verleiht seiner Genervtheit durch blanken Zynismus Ausdruck, und die Braut selbst gibt sich erst ihren depressiven Schüben und dann dem neuen Firmenprakti hin.

Traumschön fotografiertes Planeten-Ballett

Doch der Titel des Films spielt nicht nur auf die melancholische Grundstimmung seiner ersten Protagonistin an. In einem zweiten Teil, der ihrer Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) gewidmet ist, erfahren wir, dass ein Planet namens Melancholia auf die Erde zudriftet. Claires Mann (Sutherland) und Sohn (Cameron Spurr) warten aufgeregt mit dem Teleskop auf das Vorbeiziehen des fremden Sterns, Claire jedoch hat im Internet gelesen, dass die Astrologen sich in ihren Berechnungen geirrt haben und Melancholia geradewegs auf eine Kollision mit der Erde zusteuert. Allein Justine juckt das alles nicht. Sie hat nach dem Desaster ihrer Hochzeit mit ihrem Leben eh abgeschlossen und legt sich lieber nackt an den Flußrand.

Ja, Lars von Trier war noch nie als Frauenversteher bekannt und hat auch hier wieder zwei äußerst schräge weibliche Charaktere geschaffen. Doch die ungleichen Schwestern Justine und Claire werden von Kirsten Dunst und Charlotte Gainsbourg so intensiv und anmutig gespielt, dass einen ihre Schrulligkeiten bald gar nicht mehr stören und man ihnen einfach begeistert zusehen muss, auch wenn manches in der Geschichte überkandidelt wirkt.

Das von Manuel Alberto Claro traumschön fotografierte Ballett der Planeten inmitten einer apokalyptischen Familiengeschichte erinnert stark an Terrence Malicks „Tree Of Life“, der in Cannes 2011 statt „Melancholia“ den Preis für den besten Film abräumte. Ob's der bessere Film ist? Das mag Geschmackssache sein. Malick hat sich jedenfalls auf der Pressekonferenz besser benommen. Dass die Jury aber Person und Werk trennen kann, hat sie durch ihre Vergabe des Preises für die beste Hauptdarstellerin bewiesen. Der ging an Kirsten Dunst, die ihn sich mit ihrer sensiblen Darstellung einer verletzlichen Society-Prinzessin redlich verdient. Und Dunst hat nur im Film die Hüllen fallen lassen, nicht aber auf dem Roten Teppich.

Von Mireilla Zirpins

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