Tori Amos im Interview, Teil 2

Tori Amos im Interview, Teil 2
Auf einer mystischen Reise durch Irland: Tori Amos

Es hat etwas von akustischer Architektur

Seit jeher gelten deine Alben wie zum Beispiel "From the Choirgirl Hotel" als höchst intimes Abbild deiner Selbst. Wo kann man dich in "Night of Hunters" entdecken?

Amos: Hier kommt es auf die Perspektive an: Ich selbst sehe mich irgendwo in allen meinen Alben. Ich habe nicht exakt die selben Erfahrungen gemacht, wie die Frau in "Night of Hunters", aber ähnliche. Das Gleiche gilt für die Transformation – bei mir hat es zwar Jahre gebraucht, bis ich die Erfahrungen gesammelt habe, die meine Protagonistin in nur einer Nacht sammelt, doch letztendlich ist das Album ein Spiegel eben dieser Erfahrungen geworden. Mir war es wichtig, dass die Frau in dem Album die Hoffnung nicht verliert. Heutzutage gibt es nämlich nicht mehr so viel Hoffnung, wenn man den Fernseher einschaltet.

Gibt es eine bestimmte Vorgehensweise, wie du Songs schreibst?

Amos: Normalerweise formt sich der Song als ein eigenständiges Gebilde in meinem Kopf. Ich bin nicht der Typ Songwriter, der sich hinsetzt und sagt: 'So, heute schreiben wir mal einen Song über dieses oder jenes.' Es braucht einen Katalysator oder schlicht und ergreifend eine Muse. Manchmal gehe ich die Straße entlang und plötzliche formen sich in meinem Kopf geometrische Strukturen und ich beginne sie zu hören – es hat etwas von akustischer Architektur. Wenn ich diese Struktur habe, es kann eine Melodie, ein Rhythmus oder ein Vers sein, dann kann ich anfangen, den Song zu bauen. Allerdings ist es kompliziert, diese Struktur in Worte zu fassen, denn letztendlich ist Musik und ebenso ihre Struktur metaphysisch.

Was bedeutet dieser Ansatz für dich als Musikerin?

Amos: Zunächst einmal, dass in Musik sehr viel Kraft steckt. Wenn die Musik es will, kann sie dich in eine andere Dimension befördern – sie kann dein Herz berühren und du weißt nicht warum. Ich glaube, dass der Schlüssel dazu das Zusammenspiel von Sprache, Rhythmus und Tönen ist. Du kannst zwar die Verse eines Songs wie ein Gedicht analysieren, aber was bringt das? Je nachdem, welche Töne du zu bestimmten Wörtern verwendest, können die Wörter ihre Bedeutung ändern. Daher ist das Wichtigste, den Bezug zwischen Sprache, Rhythmus und Tönen herzustellen, um einen Song komplett zu begreifen.

Jede Show muss einzigartig sein

Wo findet sich dieses Prinzip auf "Night of Hunters" wieder?

Amos: Das Komplizierte daran war, wie ich meine Geschichte anhand der klassischen Stücke erzählen kann. Es hat lange gedauert, bis ich diejenigen gefunden hatte, von denen ich glaube, dass sie am besten passen. Natürlich gab es Momente, in denen ich mir die Haare hätte ausreißen oder mit Tellern werfen können. Das beste Beispiel dafür ist die Bach Variation – seine Stücke kannst du für deine eigenen Zwecke nicht verbiegen oder gar verbessern. Was aber möglich ist, ist die Transformation dieses Stückes auf eine andere emotionale Ebene. Und genau so habe ich mit den anderen Komponisten gearbeitet: Ich glaube, dass es wichtig ist, sich der Botschaft, die in den ursprünglichen Stücken steckt, klarzuwerden. Bin ich mir dieser Botschaft bewusst, kann ich mit meiner eigentlichen Arbeit beginnen.

Ist deine Tochter mit auf Tour gekommen?

Amos: Anfangs ja, aber mittlerweile ist sie wieder in der Schule und ich glaube, das ist auch gut so. Sie war auf allen anderen Touren mit bisher, sie hat die gesamte Welt gesehen und ich glaube sie ist in einem Alter (A.d.R.: Tori Amos Tochter ist 11 Jahre alt), in dem sie beginnen muss, ihre eigenen Erfahrungen zu machen.

Bei deinen Konzerten hast du immer eine sehr starke Verbindung zu deinem Publikum gehabt. Hat sie diese Einstellung nach über 20 Jahren auf der Bühne irgendwie verändert?

Amos: Ich glaube es ist wichtig, die Verbindung zum Publikum aufrecht zu erhalten. Es gibt Künstler, deren Fans sich gerne die Alben anhören, aber nicht mehr als einmal auf die Konzerte gehen. Aus dem einfachen Grund, weil das Publikum das Gefühl hat, dass es von einer Live-Performance nicht wirklich mehr hat, als von dem Hören des Albums.

Wie schaffst du es, nicht zu solch einer Künstlerin zu werden?

Amos: Ich versuche, dass jede Show einzigartig ist. Vor jedem Konzert gehe ich raus und frage die Leute, was sie heute Abend gerne hören möchten. Wenn du nicht mit den Leuten kommunizierst, die am Abend zu dir kommen, um dich zu sehen, kann es passieren, dass du als Künstler total den Bezug verlierst. Du stehst auf der Bühne und ziehst dein Ding durch, ohne zu wissen, ob dein Publikum das alles überhaupt hören will. Mir ist es wichtig, den Leuten eine emotionale Antwort zu geben. Ich weiß nicht immer, wie eine Show genau ablaufen wird – und genau das ist das Schöne daran.

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