Monica Bleibtreu macht mit ihren Theorien um einen sechsfach-Mord nicht nur Julia Jentsch das Leben schwer
Fans der deutschen Schauspielerin Monica Bleibtreu haben wahrscheinlich das letzte halbe Jahr auf den Filmstart von "Tannöd" gewartet. Es ist nämlich der letzte Kinofilm, in dem die im Mai 2009 an Krebs verstorbene Schauspielerin in einer Hauptrolle zu sehen ist. Literaturfans wird es zusätzlich freuen, dass die Verfilmung auf dem gleichnamigen Bestseller von Andrea Maria Schenkel basiert.
Die Story geht auf eine wahre Begebenheit zurück: Im Jahr 1922 wurde auf dem abgelegenen Hof Hinterkaifeck in Oberbayern eine ganze Familie samt Kindern und Magd von einem oder mehreren Tätern auf brutale Weise mit einer Art Spitzhacke erschlagen. Das Interesse an dem Fall ist auch heute noch groß, nicht zuletzt wegen des Romans.
Im Film wurde das Geschehen in die frühe Nachkriegszeit verlegt. Obwohl alle über die Grausamkeit der Morde an der Bauernfamilie Danner auf dem Tannödhof erschüttert sind, wundert sich im Dorf keiner so recht über die Tat: Der alte Danner war ein Tyrann und Geizhals, seine frömmelnde Frau hatte nichts zu melden, sogar von Inzest war die Rede. Obwohl genügend potenzielle Täter im Dorf herumlaufen, wird das Verbrechen in der Gemeinschaft verdrängt und totgeschwiegen.
Zwei Jahre nach der furchtbaren Tat kommt die junge Altenpflegerin Kathrin (überzeugend: Julia Jentsch aus "Sophie Scholl") nach langer Zeit aus der Stadt zurück in ihr Heimatdorf, um ihre verstorbene Mutter zu beerdigen. Durch Kathrins Auftauchen werden die Vorfälle auf dem Tannödhof wieder zum Hauptgesprächsthema im Dorf. Jeder hat seine ganz eigene Theorie und beschuldigt die Anderen. Allen voran Traudl (brilliant: Monica Bleibtreu), die Schwester der ermordeten Magd Marie, mit ihren wilden Theorien bei den Dorfbewohnern auf Ablehnung stößt. Die eigenbrötlerische Frau versucht, Kathrin von ihrer Version zu überzeugen. Obwohl diese damit überfordert ist, ahnt sie nach und nach, dass die Morde mehr mit ihr zu tun haben, als ihr lieb sein kann.
Glaubwürdige Roman-Verfilmung nicht nur für Literaturfans
Monica Bleibtreu zeigte wieder einmal ihr schauspielerisches Talent und überzeugt in der Rolle der eigenbrötlerischen Traudl, die sich schuldig am Tod ihrer Schwester fühlt und deshalb die Vergangenheit nicht ruhen lassen kann. Auch Julia Jentsch zeigt einmal mehr, weshalb sie aus der Nachwuchsriege der deutschen Schauspieler mittlerweile nicht mehr wegzudenken ist. Ebenso Nachwuchstalent Volker Bruch, der schon als Stefan Aust in "Der Baader Meinhof Komplex" auf sich aufmerksam machte und nun den jungen Bauernsohn Johann Hauer überzeugend darstellt. Trotz der hervorragenden darstellerischen Leistungen leidet der Film manchmal unter der aggressiven, anklägerischen Art der Figuren.
Auch werden die Ohren des Zuschauers auf eine harte Probe gestellt: die Figuren sprechen einen gewöhnungsbedürftigen Fantasie-Dialekt mit Einschlag aus der tiefsten süddeutschen Provinz. Dass die Handlung komplex ist und zwischen Vergangenheit und Gegenwart springt, erfordert zusätzliche Konzentration. Andernfalls blickt man schnell nicht mehr durch.
Die meisten Filmsequenzen wurden mit einer Handkamera gedreht. Das verstärkt zwar schön den Effekt des dunklen, furchterregenden Waldes, der den abgelegenen Tannödhof vom Dorf trennt, ist aber ebenfalls anstrengend für das Publikum. Immerhin kommt ordentlich Gruselstimmung auf: wenn Außenseiterin Kathrin mit Kleidchen, Koffer und knallrotem Mantel mutterseelenallein durch den dunklen Wald stapft, stellt sich beim Zuschauer das Nackenhaar auf.
Das kriminalistische Mitraten kommt auch nicht zu kurz: Bettina Oberlin lockt einen mit Anschuldigungen und Theorien der Dorfbewohner immer wieder auf eine falsche Fährte. Da macht es dann auch nichts aus, dass pfiffige Krimi-Liebhaber bald erahnen können, wer der Mörder ist. Da "Tannöd" sehr düster und teilweise sogar erdrückend daherkommt, werden vermutlich hauptsächlich Literaturfans Gefallen an dieser glaubwürdigen Verfilmung finden.
Von Maike Nagelschmitz