In einer weißen Plastiktüte kam Waris Diries Bestseller ,Wüstenblume’ zu ihr, erinnert sich die deutsch-amerikanische Regisseurin (,Frauen sind was Wunderbares’, ‚Irren ist männlich’). Was ihr beim Drehen in Afrika widerfuhr, warum man bei der traurigen Lebensgeschichte der als Kind mutwillig an den Genitalien verstümmelten Waris Dirie dringend trotzdem lachen soll und warum sie ausgerechnet eine echte Beschneiderin vor die Kamera geholt hat, erzählt Sherry Hormann Kino-Redakteurin Mireilla Zirpins im Exklusiv-Interview.
Wie kam Waris Diries Buch „Wüstenblume“ zu Ihnen?
Produzent Peter Herrmann drückte mir während der Dreharbeiten zu ‚LattenknallerÄ eine weiße Plastiktüte mit dem Buch drin in die Hand und sagte: Lies mal. Wie, das kennst du nicht? Ich sagte: Ich bin unheimlich arrogant. In der Buchhandlung gehe ich nicht vorn zum Bestsellertisch, sondern lieber in die hintere Ecke, um die Bücher zu unterstützen, die keiner liest. Gut, sagte er, sei nicht mehr so arrogant und lies es. Ich hab beim Lesen geweint und gelacht und war tief bewegt. Weil ich Frau bin, weil ich Mutter bin und weil ich meine, dass man das Thema weibliche Genitalverstümmelung unbedingt an die Öffentlichkeit bringen muss, wollte ich den Film machen – aber nur unter der Bedingung, dass ich Waris Dirie treffe.
Wie war das Treffen?
Äußerst unfreundlich. Die ersten 40 Minuten saßen wir in diesem Restaurant, und sie hat nicht mit mir gesprochen. Ich war die weiße Frau. Wieso sollte ich einen Film über eine schwarze Frau drehen? Sie hat 40 Minuten lang ihren Fisch malträtiert und höchstens in seine Richtung gesprochen. Da dachte ich: Na klar. Sie soll dir ihre Geschichte geben, was gibst du ihr dafür? Also erzählte ich ihr von meinem Leben. Und da machte sie auf, fing an mir Fragen zu stellen. Am Ende des Gesprächs sagte sie: Wann fängst du an zu schreiben? Du musst mir aber ein Versprechen machen. Ich möchte nicht, dass du nur über weibliche Genitalverstümmelung sprichst, ich möchte, dass du auch einen unterhaltenden Film machst. Ich möchte, dass die Leute in dem Grauen auch lachen. Das war für mich die größte Herausforderung.
Haben Sie das verstanden, warum sie das möchte?
Sehr gut sogar. Wissen Sie, wenn man in einer Kindheit lernt, nur zu funktionieren und das letzte Glied einer Kette zu sein, zwangsverheiratet und vergewaltigt zu werden, einfach nur zu überleben, dann verlernt man die Leichtigkeit und die Lebensfreude und hat Panik davor, sich zu verlieben. Daher habe ich aus vielen Freundinnen, die es im Buch ja nicht gibt, die beste Freundin und weiße Repräsentantin Marilyn gemacht.
Wie hat Waris denn auf die fiktive weiße Figur reagiert, nachdem sie ja auf Sie als weiße Regisseurin erst nicht so gut zu sprechen war?
Sehr offen und sehr gut. Sie weiß natürlich auch, dass es viele Leserinnen in Europa und den USA gibt, die sie als Heldin empfinden. Ihre Botschaft ist ja, jeder kann was bewirken, egal, welche Hautfarbe er hat.
Wie schwierig war es denn, für die andere Hauptrolle, die der Waris, eine Besetzung zu finden?
Extrem schwierig. Erstens weil Waris Dirie eine große und bildhübsche Frau ist und weil wir eine Frau wollten, die auch somalisch aussah. Es gab viele berühmte Schauspielerinnen aus L.A., die die Rolle spielen wollten. Die Casting-Agenten von „Herr der Ringe“ haben Liya Kebede für uns in den USA gefunden. Ich wusste nicht mal, dass sie Topmodel ist. Ich habe nur ihr sehr berührendes Vorsprechen gesehen. Doch ich brauchte noch das Feedback von Waris. Sie sah die DVD, während ihr kleiner Sohn im Hintergrund spielte. Als er ausrief: ‚Mom, das bist ja du!’, konnte sie gar nicht mehr gegen Liya argumentieren. Und Liya ist es auch prima gelungen, sich komplett für die Rolle zu öffnen.
Wie sehr mussten Sie sich denn öffnen für das Thema?
Ich hatte große Angst vor dem Projekt. Hier ging es nicht um meine Filmkunst, hier ging es um die Wucht des Themas Genitalverstümmlung und den Anspruch zu unterhalten. Schwierig war es auch, nach Afrika zu gehen in Gegenden, wo Menschen noch keinen Weißen gesehen haben. An der kenianisch-somalischen Grenze habe ich mit tief verschleierten Frauen, von denen ich nur die Augen gesehen habe, über ihre Genitalverstümmelung gesprochen. Diese Frauen sind so große Kämpferinnen. Beim Casting in London kamen Frauen angereist, die sich einen Tag aus ihrer Fabrik freigenommen haben, nur um zu sagen, wie wichtig dieser Film für Afrika ist.
Aber es gibt auch die umgekehrte Seite. Waris Dirie hat mir erzählt, dass sie gerade bei ihrer eigenen Familie auf Granit beißt. Sind Sie auch erzkonservativen Beschneidungs-Befürwortern begegnet?
Oh ja. Wir haben die Szene, in der die kleine Waris auf dem Marktplatz ihre Großmutter sucht, in Djibouti gedreht, wo es wie in Mogadischu aussieht. Wir hatten 400 Komparsen, und an dem Tag kamen 150 Polizisten in Schutzuniform. Kaum hatten wir begonnen zu drehen, haben Menschen uns mit Steinen beworfen, weil wir als Weiße in einem Land gedreht haben, wo die Genitalverstümmelung zwar offiziell verboten ist, aber täglich praktiziert wird. Die Beschneidungsszene selbst war die härteste in meiner Laufbahn als Regisseurin. Am nächsten Tag kamen zwei Leute zu mir und sagten: Sherry, wir sind an einem Fels voller Blut vorbeigekommen. Es ist passiert, während wir da drehten. Wir haben vor dem UN-Gebäude in New York gedreht, in einer Stadt, in der jährlich 40.000 Frauen verstümmelt werden.
Sie haben eine echte Beschneiderin vor die Kamera geholt. Warum?
Ich wusste, diese nachgestellte Szene ist ein Schlüsselelement und musste eine große Wirkung haben. Daher suchte ich eine echte Beschneiderin, allerdings eine, die aufgehört hat. Diese Frau ist ungefähr 75 und hat seit ungefähr fünf Jahren nicht mehr praktiziert. Sie hatte das Gefühl, dass sie mit diesem Film etwas zurückgibt. Als diese Frau sich vorstellte, dachte ich, mir tritt die Feindin entgegen, und ich war voller Vorurteile. Es muss Hass auf meiner Stirn gestanden haben. Sie überreichte mir als erstes ein Geschenk, eine perlenbestickte Decke. Ich sagte: Vielen Dank, und jetzt zeigen Sie mir Ihr Werkzeug. Und sie packte die Rasierklinge aus, die Akaziendornen, und die Übersetzerin sagte: Sie würde dir jetzt gerne zeigen, was sie macht. Gut, sagte ich, dann machen wir das an mir. Das war wichtig. Natürlich hatte ich meine Hose noch an, aber allein, dass die Frau so tat als ob, war schlimm genug für mich.
Wie hat Waris auf den Film reagiert?
Wir haben in München ein Kino gemietet, nur für sie. Als das Licht anging, war Totenstille. Sie stand auf, hatte Tränen in den Augen, nahm mich in den Arm und ließ nicht los. Dann sagte sie „Thank you, Sherry. And now I have to go to the bathroom.“
Herzlichen Dank für das Gespräch.