Sesselfurzer wird zum Alien: „District 9“ Filmkritik

Von Mireilla Zirpins
Science-Fiction-Filme sind am verstörendsten, wenn ihr Szenario wirklichkeitsnah erscheint. Das Spannende an „District 9“ von Peter-Jackson-Schützling Neill Blomkamps ist es, dass das Setting seines Fantasyspektakels so erschreckend real wirkt, obwohl es eine Alien-Story erzählt. Ein riesiges Raumschiff hängt über Johannesburg – aber kein gelacktes Space-Shuttle wie in „Independence Day“, sondern eine altmodische und kaputte Monstermaschine. Mit ihr sind vor 20 Jahren Extraterrestrische über Südafrika gestrandet.
Völlig ausgehungert wurden die Aliens aus ihrem Gefährt geborgen und im Township „District 9“ interniert. Zwei Jahrzehnte später haben die mittlerweile abfällig als „Krabben“ bezeichneten Außerirdischen sich fleißig vermehrt und sind den Nachbarn des Elendsquartiers ein Dorn im Auge. Eine neue Apartheid droht. Weiße und schwarze Südafrikaner machen gegen die Wesen vom anderen Stern erstmals so richtig gemeinsame Sache und wollen die unliebsamen Gestrandeten ins Konzentrationslager „District 10“ abschieben. Ein beklemmendes Szenario, das zu den Verhältnissen in Südafrika passt und kurz vor der Fußballweltmeisterschaft ein ungutes Gefühl hinterlässt.
Protagonist Wikus van der Merwe (brillant gespielt vom hierzulande völlig unbekannten Südafrikaner Sharlto Copley) soll die Operation „District 9“ leiten. Neill Blomkamps als Mockumentary, als gefakte Dokumentation inszenierte Fiktion lässt vom ersten Moment an keinen Zweifel daran, dass unser Held eine echte Wurst und alles andere als eine Identifikationsfigur ist.
Der schnauzbärtige Pullunder-Spießer und Sesselfurzer hat das Kommando überhaupt nur bekommen, weil sein Schwiegervater Chef von „Mulit-National United“ ist. Diese Firma ist keineswegs eine gemeinnützige Nichtregierungs-Organisation, sondern ein profitgieriges Unternehmen, das nur scharf auf die Alien-Waffen ist – genauso wie die nigerianischen Erzfeinde der Südafrikaner, die im Slum fleißig Handel treiben.

Wikus stellt sich beim Umsiedeln der „Krabben“ genau so doof an, wie man es von ihm erwartet. Vor der laufenden Kamera seines Teams blödelt er, flankiert von schwerstbewaffneten Wachleuten, so ungehemmt wie ungeschickt in District 9 herum, dass er sich schließlich mit einer Flüssigkeit infiziert, die seine DNA mit der von Aliens vermischt. Als sein Arm - schöner Effekt! – zu einer Art Hummerschere mutiert, wird er vom Jäger zum Gejagten. Denn wissenschaftlich ist er auf einmal sehr interessant für Schwiegerpapa und seine Schergen, können die Waffen aus dem All doch nur von Wesen mit extraterrestrischem Gencode bedient werden.
Klingt kompliziert und abgefahren, kommt in dem Low-Budget-Thriller aber fast zwingend und organisch rüber. Die Atmosphäre ist erdrückend, und die Aliens werden als Spielball zwischen machtgeilen Parteien plötzlich immer sympathischer. Es ist spannend, wie Blomkamp den Zuschauer zwingt, Partei zu ergreifen und sich auf die Seite seiner zunächst so unsympatischen Hauptfigur zu schlagen. Und der muss die Seiten wechseln, weil seinesgleichen ihn verfolgen.
Die Effekte sind trotz des für heutige Zeiten fast bescheidenen Produktionsbudgets von 30 Millionen US-Dollar sehr anständig, und das Tempo hoch. Nach ein paar Lachern in der ersten halben Stunde lässt Blomkamp seinen Helden und den Zuschauer nicht mehr zu Atem kommen. Ein bisschen viel Materialschlacht bekommt man da zwar geboten, aber es wird nie langweilig. Einziger Wermutstropfen: Die Love-Story, von der man erst am Ende merkt, dass sie eine Rolle spielen sollte, ist dramaturgisch nicht ausgereizt. Aber das wird die vorwiegend männliche Zielgruppe dieses verstörenden Sci-Fi-Abenteuers wohl verschmerzen können.