Sakrileg: Der Filmcheck

Was soll man von einer Bestsellerverfilmung erwarten, deren Romanvorlage sich bislang sensationelle 48 Millionen Mal verkauft und sogar die größten Lesemuffel zum Schmökern gebracht hat? Natürlich nichts weniger, als dass der Streifen der Film des Jahres wird und den Romanstoff so breitenwirksam auf die Leinwand bringt. Vor allem, wenn der Regisseur Ron Howard heißt.
© dpa

Der ist bekannt für solide, aber kommerziell äußerst erfolgreiche Starvehikel und Hollywood-Durchschnittsware wie „In einem fernen Land“, „Apollo 13“ oder „Das Comeback“. Die Academy liebt ihn und dekoriert seine Dramen wie „A Beautiful Mind“ mit schöner Regelmäßigkeit mit ein paar Oscars.
© Sony Pictures

Einen Kunstfilm hätte von ihm niemand erwartet, aber zumindest einen vor Spannung berstenden Blockbuster. Denn Dan Browns Roman ist schon so geschrieben, dass er geradezu nach einer Verfilmung schrie: Flotte Schauplatzwechsel steigern die Spannung, und die extrem kurzen Kapitel enden jeweils mit einem Cliffhanger. Anspruchsvolle Literatur ist das nicht, aber immerhin sauspannend und mitreißend geschrieben.
© Sony Pictures

Und genau da liegt der Haken bei Howards Umsetzung des Wissenschaftskrimis. Es mangelt ein wenig an Action und Suspense. Zwar steigt der Film flott ein mit dem spektakulären Mord im Louvre, der auch der Opener des Romans ist, doch schon bei der Flucht aus dem wohl berühmtesten Pariser Museum lässt das Tempo deutlich nach.
© Sony Pictures

Erst als Sophie ihren Kleinwagen à la française durch die Straßen der Seine-Metropole steuert, mit Karacho über Bürgersteige düst und die Karre mit Höchstgeschwindigkeit durch zwei Lkws hindurch manövriert, kommt wieder ein bisschen Fahrt in die Story. Aber die vermag Howard nicht dauerhaft aufrecht zu erhalten. Hitchcock hätte das anders inszeniert.
© Sony Pictures

Doch zur Erinnerung und für die paar Menschen, die den Kultthriller nicht gelesen haben, hier erst noch einmal die wesentlichen Rahmenpunkte der äußerst verwinkelten Handlung: Der ahnungslose US-Professor Robert Langdon (Tom Hanks) wird in einen mysteriösen Mordfall verwickelt.
© Sony Pictures

Die französische Polizei verdächtigt den Symbologen, den Kurator des Louvre umgebracht zu haben. Der kam in seinem Museum just zu dem Zeitpunkt auf rätselhafte Weise ums Leben, als er sich eigentlich mit Langdon treffen sollte und hinterließ eine kunstvoll verschlüsselte Botschaft, die per Geheimcode auf Leonardo Da Vinci verweist.
© Sony Pictures

Aus Langdons ausweglos scheinender Situation will ihm die Polizei-Kryptologin Sophie Neuveu (Audrey Tautou - ja, die aus „Amelie“) helfen. Denn sie ist die Enkelin des Ermordeten und will das seltsame Bilderrätsel ihres Großvaters gemeinsam mit Langdon lösen – aber lieber an einem sicheren Ort! Denn der seltsame Polizeichef Bezu Fache (gespielt von Jean Reno) will Langdon den Mord in die Schuhe schieben. So fliehen die beiden aus dem Louvre, die französische Polizei immer dicht auf den Fersen.
© Sony Pictures

Die Flüchtigen entdecken, dass Sophies Großvater ein Geheimnis hütete. Ein Geheimnis, an dessen Enthüllung einigen Parteien nichts liegt - vor allem nicht der katholischen Kirche. Und deren Schergen, Mitglieder der radikalen und umstrittenen Opus-Dei-Fraktion, sind durchaus bereit zu sündigen, um in den Besitz der Informationen zu kommen. Doch Langdon und Sophie müssen das Mysterium erst selbst aufklären, um es schützen zu können. Da ist ihnen der mordlustige Mönch Silas (Paul Bettany) einen Schritt voraus, denn er weiß genau, wonach er sucht und soll den heiligen Gral zerstören und unliebsame Mitwisser beseitigen.
© Sony Pictures

Bald merken sie, dass sie die Brisanz der Sache unterschätzt haben und in Lebensgefahr schweben - denn sie fahnden nach nichts Geringerem als dem Heiligen Gral. Dieser ist nämlich keineswegs ein wertvoller Kelch, sondern der Beweis dafür, dass Jesus menschlicher war, als die Kirche behauptet.
© Sony Pictures

Der Gral beweist, dass Jesus’ Blutlinie sich bis unsere Zeit fortsetzt. Diese Tatsache wurde von der Katholischen Kirche aus guten Gründen über Jahrhunderte hinweg vertuscht, doch der Geheimbund Prieuré de Sion, zu dessen Mitgliedern auch Leonardo da Vinci zählte, hat dieses Geheimnis über Generationen hinweg weitergegeben und vor der Zerstörung durch die Kirche geschützt.
© Sony Pictures

So müssen Sophie und Langdon auf abenteuerliche Weise mit Hilfe des steinreichen Wissenschaftlers Leigh Teabing (Sir Ian McKellen) das Land verlassen. Ihre Gralssuche führt sie von Frankreich nach Großbritannien, und Ron Howard sammelte die Drehgenehmigungen an historischen Stätten wie dem Louvre oder der Temple Church in England wie andere Leute Briefmarken.
© Sony Pictures

Nur in Westminster Abbey sah man das ein bisschen anders, und so blieben die Türen des Londoner Wahrzeichens für Howard und sein Team verschlossen. Die Begründung: Der Film sei „theologisch ungesund“. Anderer Bischof, andere Macken. Doch Howard hat das Problem hübsch gelöst und die Innenaufnahem in der englischen Lincoln Chruch gedreht. Was fehlte, wurde eben im Studio täuschend echt nachgebildet – kein Problem bei einem Luxusbudget von geschätzten 125 Millionen Dollar ohne Marketingkosten.
© Sony Pictures

Und das viele Geld sieht man der Hochglanzproduktion auch auf jedem Meter Zelluloid an. In ausgesucht schönen Bildern inszeniert Howard die verschiedenen Fluchtstationen seiner Protagonisten oder die Verfolgungsjagd durchs nächtliche Paris. Gigantische Kamerafahrten zeigen die wunderbaren Locations aus einer quasi himmlischen Perspektive, die Interieurs bestechen durch düstere Schönheit. Die vielen Schauplatzwechsel werden mit cleveren Schnitten in die Erzählführung eingebettet.
© Sony Pictures

Dabei bleiben Howard und seine Drehbuchautorin Akiva Goldsman recht nah an der Vorlage und haben ein paar clevere Kürzungen oder Plotumstellungen gewagt, die Browns Roman nicht entstellen. Mit einer Spielzeit von knapp zweieinhalb Stunden kommt der Thriller zwar auf eine stattliche Länge, doch hätte man die komplexe Handlung kaum kürzer darstellen können.
© Sony Pictures

Wie es sich für einen Popcornfilm gehört, achtet Howard dabei sorgfältig darauf, dass auch Zuschauer, an denen der Bestseller vorbei gegangen ist, der Handlung folgen können. Manchmal gibt er dabei ein wenig zu viel Hilfestellung. So erklären Sophie und Langdon beim Anblick eines Davidssterns, dass dieser aus den beiden Dreiecken zusammengesetzt ist, die das Männliche und das Weibliche versinnbildlichen. Nun fanden die Symbole im Film schon etliche Male Erwähnung, und Howard versieht die beiden Dreiecke nacheinander zusätzlich mit einem Lichteffekt. Das mag manchem zu didaktisch sein, aber immerhin ist es ja nett gemeint.
© Sony Pictures

Doch an anderer Stelle hapert es ein wenig. In Browns Buch müssen die Protagonisten höchst diffizile Rätsel entschlüsseln. Der Romanautor lockert die verwickelten Verschwörungstheorien dadurch auf, dass er die Erklärungen den Figuren in den Mund legt. Das funktioniert im Roman ganz gut, ist aber für die Leinwand zu einseitig. Howard illustriert die Dialoge, die die geschichtlichen Hintergründe aufrollen, mit Rückblenden im Stil von Historienfilmen, was mal elegant gelingt und ein anderes mal nicht überzeugt, weil der Regisseur für seine Rückblenden keinen konsistenten Stil wählt.
© Sony Pictures

Vor allem dürfte der Soundtrack von Hans Zimmer nicht jedermanns Sache sein. Zu wenig profiliert und gerade in den stilleren Szenen zu plätschernd stellt sich seine musikalische Untermalung dar, die man wohlmeinend als unauffällig bezeichnen könnte.
© Sony Pictures

Tom Hanks spielt die Rolle, die er am besten kann: einen harmlosen Gutmenschen, der unverschuldet in eine böse Sache hineingerät. So gesehen ist er die perfekte Besetzung für den Part des fälschlicherweise verdächtigten Forschers, auch wenn Browns Porträt von Robert Langdon ein wenig mehr Sexappeal und Drive erwarten ließ. Zudem wirkt Hanks stellenweise ein wenig steif.
© Sony Pictures

Audrey Tautou hat seit „Amélie“ und dem zu Unrecht ignorierten „Wahnsinnig verliebt“ keine Rolle mehr gefunden, in der sie ihr Talent wirklich ausspielen konnte. Nun versucht sie, als Thrillerheldin mit ihrem Image des romantischen jungen Mädchens zu brechen. Doch ihre Sophie Neveu im Schulmädchenrock hat mehr den fragilen Charme einer französischen Strickjäckchenträgerin als einer Spezialagentin, die für die Polizei arbeitet. Sie gibt eine solide Performance, doch leider stimmt die Chemie zwischen ihr und dem bisweilen etwas hölzernen Hanks nicht perfekt.
© Sony Pictures

Paul Bettany macht seine Sache als Albino-Mönch Silas mit dem Hang zur blutigen Selbstkasteiung ganz anständig, Alfred Molina und Jean Reno sind als böser Bischof Aringarosa beziehungsweise als Bulle Bezu Fache wie immer verlässlich, aber ein wenig unterfordert, und Jürgen Prochnow hat einen netten Kurzauftritt als zwielichtiger Nachtchef einer Schweizer Bank.
© Sony Pictures

Zum Glück ist der wunderbare Ian McKellen mit von der Partie, der vom guten Zauberer Gandalf („Herr der Ringe“) bis zum bösen Mutanten Magneto („X-Men“) einfach alles spielen kann. Er mimt mit Charme, Understatement und einer guten Portion britischen Humors den fanatischen Forscher Leigh Teabing, dessen Leben eine einzige Gralssuche ist und der für eine gute Schnitzeljagd alles riskiert. Sämtliche Lacher des Films sind seine, und es hätten gern ein paar mehr sein können.
© Sony Pictures

So waren die ersten Reaktionen aus Cannes, wo der Film mit großem Staraufgebot seine Premiere feierte, durchwachsen. Applaus gab es bei der ersten Pressevorführung nicht. Aber wir wollen nicht nur meckern. Die Story ist und bleibt faszinierend und wird ansprechend umgesetzt, sodass sich das Kinoticket auf jeden Fall lohnt – und sei es nur, um mitreden zu können, wenn der Vatikan die nächste Attacke gegen die kirchenkritische Romanadaption fährt.
© Sony Pictures

Fazit: Auch wenn „Sakrileg“ als Filmkunstwerk nicht durch die Bank überzeugt und mit dem Roman nicht ganz mithalten kann, wird der handwerklich perfekt inszenierte Thriller sein Publikum, die 48 Millionen Fans des Bestsellers, erreichen. Für alle anderen ist der Film eine prima Gelegenheit, sich die Lektüre des gut 600 Seiten starken Wälzers zu sparen und sich von der Gralssuche auf der Leinwand nett unterhalten zu lassen.
Mireilla Häuser
© Sony Pictures
01 24
