Richie Sambora über Glück, Geld und Coolness

Richie Sambora: Das komplette Interview
Er hat mit Bon Jovi über 150 Millionen Alben verkauft, zahllose Auszeichnungen erhalten, wurde in die Songwriter´s Hall Of Fame aufgenommen und zählt zu den besten Gitarristen der Welt: Richie Sambora. Nach seiner schlagzeilenträchtigen Trennung von der Band war die Rockikone nun auf Solotour durch Europa und zeigt eindrucksvoll, warum er nicht nur ein begnadeter Gitarrist, sondern auch ein Sänger ist, der mit seiner rauen, bluesigen Stimme Jon Bon Jovi in nichts nachsteht. Wir sind mit Richie in einem Kölner Hotel verabredet, und mit etwas Verspätung werden wir mit den Worten „Sorry vielmals, Dolly Parton war noch am Telefon.“ begrüßt. Nun, da sind wir natürlich nachsichtig...
von Nicole Feybert
Schön, dich zu sehen, Richie. Deutschland hat dich vermisst. Wie fühlt es sich an, wieder in Europa zu sein?
Es tut gut, wieder hier zu sein. Deutschland hat uns immer mit offenen Armen empfangen, und für mich fühlt es sich wie ein zweites Zuhause an. Hey, allein dieses Hotel hat mich sicher schon über 50 Mal gesehen.
Welchen Unterschied siehst du zwischen dem amerikanischen und europäischen Publikum?
Das europäische Publikum ist während der Shows sehr viel aufmerksamer und fokussierter als in den USA. Soviel ist sicher! Hier sind die Leute viel mehr bereit, wirklich zuzuhören. In den USA hat man oft den Eindruck, sie kommen nur zum Partymachen. Das ist auch okay, klar, aber der Unterschied fällt mir extrem auf.
Du hast ja in den letzten Wochen bereits diverse Solo-Shows und auch Festivals hier gespielt...
Ja, und es war klasse! Das Festivalpublikum ist immer eine besondere Herausforderung, die ich sehr mag. Ich versuche dort, die Perspektive einiger Leute zu ändern. Abgesehen von den Fans und Leuten aus dem Musikbusiness denken viele immer noch, dass ich als Gitarrist der Band sowas wie Jons Handlanger war und haben keine Ahnung, dass ich Sänger bin und die Bon Jovi Songs geschrieben habe. Genau wie bei Orianthi, die viele „nur“ als Gitarristin von Michael Jackson kennen.
Wie habt ihr euch überhaupt getroffen?
Das war mehr oder weniger Zufall. Ich habe Orianthi auf Hawaii getroffen, als ich mit meiner Tochter dort Urlaub machte. Alice Cooper, für den ich einige Songs geschrieben und produziert habe, rief mich an und fragte, ob ich eine Charity-Show mit ihm, Steven Tyler und Sammy Hagar machen wolle. Wir saßen also bei den Proben und da spielte auch Orianthi. Als ich dann später dran war, zum Mikro zu gehen und zu spielen, war sie auch da, und wir spielten gemeinsam. Es war toll, wir haben uns spielerisch ergänzt, ohne groß darüber nachzudenken. Später erkrankte vier Tage vor unserer Australien-Tour die Mutter meines Gitarristen, er konnte also nicht mit auf Tour. Ich hätte zwar notfalls die Gitarrenparts alleine stemmen können, aber es ist mir lieber, ein Backup zu haben. Ich rief also Ori an, sie ist Australierin, und fragte, ob sie einspringt. Und sie hat „ja“ gesagt. Die Chemie stimmte auf Anhieb. Sie ist eine unglaubliche Gitarristin.
Du konntest viel Zeit mit deiner Tochter verbringen. Kommt sie eigentlich zu deinen Shows?
Oh ja. Sie liebt Musik und hat einen guten Geschmack. Der Apfel fällt offenbar nicht weit vom Stamm (grinst). Sie mag fast alle Genres und zeigt mir oft neue Sachen. Ich habe sie gelehrt, der Musik und Kunst gegenüber immer offen zu sein.
Muss ganz schön cool sein, Richie Sambora als Daddy zu haben.
Naa (lacht) ... ich bin bloß Daddy. Sie ist das wichtigste in meinem Leben. Ein tolles Mädchen. Sie ist jetzt 16 und darf Auto fahren. Oh mein Gott, wie ich das hasse! (grinst und schaut gen Himmel)
Du hast also die Entscheidung, Bon Jovi zu verlassen und mehr für deine Familie da zu sein, bislang nie bereut?
Ich bin nicht komplett ausgestiegen. Ich habe damals nur gesagt, dass ich in diesem Tempo nicht weitermache. Meine Tochter ist wie gesagt jetzt 16 - und ich war niemals zuhause! Ava brauchte mich und ich brauchte sie. Solo bestimme ich das Tempo selbst; ich toure drei, vier Wochen und bin wieder zurück. Aber man muss sich mal vorstellen: Die letzte Bon Jovi Tour ging über 18 Monate durch 52 Länder. Die Tour davor 14 Monate durch 47 Länder. Dazu kommt, dass ich der Typ bin, der die Songs schreibt und das Album co-produziert. Und das kostete dann die 9 Monate, die dazwischen lagen. Außerdem fand ich, dass das neue Album in der kurzen Zeit noch gar nicht richtig fertig war. Es hätte definitv noch mehr Arbeit benötigt. Jedenfalls waren diese zwei Touren neben den Rolling Stones und The Grateful Dead die größten der Rockgeschichte. Da fragt man sich doch irgendwann: was zählt mehr – das persönliche Glück und Familie oder noch mehr Geld? Auch wenn es ganz offensichtlich eine sehr unpopuläre Entscheidung für die Fans und die Band war – ich habe mich für ersteres entschieden. Die Leute werden das irgendwann verstehen. Sollten Bon Jovi und ich in Zukunft wieder zusammenkommen, wird es großartig - aber anders.
Aufhören kommt bei dir also in keinem Fall in Frage?
Ich werde Musik machen, bis ich tot umfalle. Denn es ist ein Teil von mir. Darum bin ich hier. Ich war mir dessen schon als Kind bewusst. Ich konnte ein Instrument nehmen, habe den Mechanismus herausgefunden und war sehr schnell in der Lage, zu spielen. (Anm.d.Redaktion: RS spielt alle Gitarrenarten, Piano, Bass, Drums, Saxophon und Akkordeon)
Du spielst nach Gehör?
Ja. Später habe ich auch Musiktheorie an der High School und im College belegt. Ich habe sozusagen rückwärts gelernt.
„Egal, was passiert – du musst cool bleiben!“
Ich war zur Recherche viel auf deinen Fanseiten und Facebook unterwegs. Hast du eigentlich Zeit, dir die vielen Kommentare und Wünsche der Fans durchzulesen?
Aber ja! Klar mache ich das. Das schau ich mir an. Und ich bin sehr froh, dass ich so viel positives Feedback erhalte! Ich notiere mir auch Songwünsche. Es gibt jeden Abend eine andere Setlist. Das macht die Sache für die Fans spannend und hält mich und die Band schön auf Zack...
Was genießt du als Solokünstler am meisten?
Mein eigener Boss zu sein, na klar, und selbst zu singen! Außerdem kann ich spielen, so lange ich will. (lacht) Die musikalische Freiheit, die Improvisationsmöglickeiten, fehlten mir mehr und mehr in Bon Jovi. Du musst dir das so vorstellen: Wenn wir in einem ausverkauften Stadion auf der Bühne waren, schloss ich meine Augen, habe Soli gespielt und konnte improvisieren, ich habe die Musik gefühlt. Ganz ehrlich: Als man dafür immer weniger Raum bekam, und auch die Setlist immer unflexibler wurde, hat mich das wahnsinnig angekotzt. Das ist nichts für mich.
Sind dir bei deinen Shows auch schonmal Fehler passiert? Hat dich z.B. dein Gedächtnis im Stich gelassen?
Wenn man mehr als 500 Songs geschrieben hat, passiert das schonmal. Diese Gedächtniskapazitäten habe ich nicht.(lacht) Hey, ich bin auch nur ein Mensch... Ich stand mal auf der Bühne, und der nächste Song sollte „Rosie“ sein. Ich fing an zu spielen und mir fielen plötzlich die verdammten Akkorde des Songs nicht mehr ein! Ich habe einfach a capella gesungen und das Publikum mitsingen lassen. Weißt du, das ist das Ding mit der Professionalität: Lass dich auf der Bühne nie aus der Fassung bringen. Niemals. Egal was passiert, du musst cool bleiben.“
Ist dir das mal in einem Riesenstadion passiert?
Da sind noch ganz andere Dinge passiert. Das ganze Soundsystem ist mal abgeschmiert. Wie gesagt: cool bleiben. Aber das sind technische Probleme. Wenn dir selbst irgendwelche Fehler passieren: gib sie zu! Wenn du was vergisst: Lächel ins Publikum und sag „Wisst ihr was? Ich habs vergessen.“ Das nimmt niemand übel. Oder „Hey, ich hab 500 Songs geschrieben, glaubt ihr, ich kann die alle auswendig?“ (lacht)
Gibt es alte Songs, die du am liebsten nie wieder spielen würdest?
Ja, gibt es. „Runaway“ ist zum Beispiel einer davon. Das war überhaupt nicht mein Stil. Jon hatte das mit anderen Leuten aufgenommen, und dieses (singt den Chorus) „... uuh she´s a little Runaway“ … oh nein. Nicht mein Ding.
Aber du wechselst nicht etwa den Radiosender, wenn es gespielt wird?
(lacht immer noch) Ich will es mal so formulieren: Ich höre mir das nicht an. Und glaub mir, es wird so gut wie nirgendwo gespielt...
Okay, dann lass mich die Frage mal anders herum stellen: Auf welchen Song bist du besonders stolz?
„Living On A Prayer“ ist ein Song, auf den ich wirklich stolz bin. Denn er hat viele Menschen berührt. Jeder, absolut jeder war „Tommy“ und „Gina“: Irgendwann kommt jeder im Leben an einen Punkt, wo es schwierig wird und man kämpfen muss. Und dann gibt es noch „The Answer“. Ich begann ihn mit 19 Jahren zu schreiben, und er wurde erst fertig, als ich 30 war. Das ist sehr unüblich, normalerweise schreibe ich Songs an einem Tag. Aber dieser Song ist sehr poetisch und wortgewaltig, ich wollte ihn perfekt haben. Ich besuche öfter Krankenhäuser und spreche mit Leuten, die nicht mehr lange zu leben haben. Es ist meist genau dieser Song, der ihnen Kraft gibt. Das rührt mich sehr, und wenn ich ihn live singe, muss ich mich auf der Bühne oft zusammenreißen.
Die Songs auf dem aktuellen „Aftermath“ Album sind sehr introspektiv. Ist das eine Überwindung, sich dem Publikum emotional so zu öffnen?
Wenn ich nicht authentisch und ehrlich wäre, was bliebe dann übrig? Natürlich zeige ich meine eigene Verletzlichkeit. Jeder hat doch mehr oder weniger die gleichen Probleme, ich bin da nur ein Mikrokosmos für alle: Jedem von uns wurde bereits das Herz gebrochen, wir alle verlieren irgendwann die Eltern, die Leute machen Scheidungen durch. Da spielt es keine Rolle, wieviel du auf dem Konto hast, es verletzt die Seele, es tut jedem gleich weh.
In deinem eigenen Leben gab es bereits so viele Ups und Downs, hast du jemals daran gedacht, eine Autobiografie zu schreiben?
Du glaubst nicht, wie oft man deshalb auf mich zukommt. Aber weißt du, was sie wollen? Sie wollen bloß das Klischee: mit wem ich geschlafen und welche illegalen Substanzen ich genommen habe. Darüber schreibe ich nicht. Ich habe viele Fehler gemacht, aber ich habe sie mir verziehen. Dazu brauche ich keine Autobiografie, ich kommuniziere mein Leben durch meine Musik und die Songtexte.
Du hast gemeinsam mit Orianthi neue Songs geschrieben. Was können wir da erwarten?
Ich glaube, dass viele Leute auch bei ihr gar nicht wissen, dass sie eine gute Songschreiberin und Sängerin ist. Ich bin noch nie in so eine Chemie geraten, die sie und mich verbindet. Wir haben mehr als 30 Songs geschrieben, und ich habe das meinen besten Freunden, die mich nicht bescheißen, mal zum Check gegeben. Alle waren sich einig, dass es was Besonderes wird.
Richie, wir hätten noch viele Fragen, aber ich glaube, wir haben die Zeit schon sehr überzogen...
Keine Sorge, Sweetheart, das geht absolut in Ordnung. Hey, ich bin hier der Boss! Und falls du noch einen Songwunsch für nachher hast..?
PS: Den hatten wir. Und er wurde erfüllt.
Vielen Dank für das Interview!