Filmkritik - Kinostart: 22.12.2022
"Oskars Kleid": Florian David Fitz macht uns den Macho in einem Film über ein Trans*-Kind

von Mireilla Zirpins
Florian David Fitz spielt einen überforderten Vater mit eher traditionellem Rollenbild, der nicht drauf klarkommt, dass sein Kind Oskar sich als Lili und in einem Kleid wohler fühlt. Das geht ganz schön ans Herz, aber auch an die Lachmuskeln. Denn als Macho-Macker in Uniform macht sich Florian David Fitz auch ganz schön zum Löffel.

Trailer zum Film "Oskars Kleid"
Ein Trans*-Kind - auch 2022 in Deutschland leider noch nicht für alle selbstverständlich
Natürlich sind es vor allem die Erwachsenen, die es kompliziert machen für das Kind. Allen voran sein Papa Ben, herrlich heißdüsig gespielt von Florian David Fitz, der auch das Drehbuch geschrieben hat. Nach seiner nicht verwundenen Trennung bewohnt Ben unfreiwillig allein die Spießer-Doppelhaushälfte – und frühstückt vor dem Dienst als Streifenpolizist gern mal ein Bierchen.
Wir verstehen recht schnell, warum seine Frau Mira (Marie Burchard) jetzt lieber mit den zwei Kids beim engagierten und weltoffenen Lover Diego (Juan Lo Sasso) lebt. Zwillinge sollen das Patchwork-Glück perfekt machen, aber ein Unfall hat die schwangere Mira ans Krankenhausbett gefesselt, und so müssen Oskar (Laurì) und Erna (Ava Petsch) widerwillig zu Ben. Und der kriegt die Krise, als Oskar auf einmal im gelben Sommerkleidchen vor ihm steht und er rauskriegt, dass Mira das Kind in der neuen Schule gleich als Lili angemeldet hat. Das Kleid kloppt Ben schnurstracks in die Tonne und nimmt sich vor, aus „seinem“ Oskar doch noch einen „richtigen Mann“ zu machen.
Florian David Fitz gibt mit Wonne das Macho-Männchen
Es ist lustig, wie Florian David Fitz uns hier den eher traditionell orientierten Macho mit extrem kurzer Zündschnur macht. Zwar versucht Ben redlich, seinen Kindern ein liebender Vater zu sein – mit Baumhaus-Bau und Gartenspaß. Aber er hat doch eine Menge Feindbilder – und damit meinen wir nicht nur seinen Konkurrenten Diego, dem er bei jeder Gelegenheit was auf die Fresse geben will. Auch auf Sitzpinkler hat er keinen Bock, schon gar nicht in seinem eigenen Haus. Dass sein Kind nicht mehr männlich gelesen werden will und sich an der neuen Schule als Lili viel wohler fühlt, kann Ben einfach nicht akzeptieren.
Nach einer kurzen Internetrecherche glaubt er, sich als Trans*-Person zu fühlen sei nur ein Trend oder so etwas wie eine Essstörung – das müssen die manipulative Mira und diese Luftpumpe namens Diego seinem Oskar eingeredet haben! Und Ben kennt sich damit aus, wenn einen die eigenen Eltern nicht so annehmen wie man ist. Schließlich ist er für seine schwer reichen Erzeuger (herrlich hochnäsig: Senta Berger und Burghart Klaußner) eine doppelte Enttäuschung: Vor allem Bens distinguierter Erzeuger findet, dass Uniformtragen nicht zum jüdischen Glauben der Familie passt und hätte vom eigenen Spross eine steilere Karriere erwartet als die des einfachen Beamten im Streifendienst. Da übernimmt er die Verhaltensmuster seiner Eltern und gibt den Stress gleich mal ans eigene Kind weiter.

Am gechilltesten: die Kinder in "Oskars Kleid"
Aus dem innerfamiliären Culture Clash ergeben sich natürlich herrliche Komplikationen und vor allem viele oft lustige Dialoge. Das ist manchmal ein bisschen drüber und stellenweise auch ordentlich klischeehaft. Dass Florian David Fitz in seinem Drehbuch zunächst nur den emotionalen Amoklauf seiner manchmal etwas wehleidigen Männerfigur in den Vordergrund stellt und die Kinder damit in den Hintergrund geraten, kann man kritisieren. Mehr Innensicht von Lili hätte man sich trotz des tollen Spiels der jungen Darstellerin gewünscht in den 102 Minuten – aber über Ben kann man natürlich besser lachen.
Schnell merken wir trotzdem, dass zwischen all den aufgeregten und vom modernen Leben herausgeforderten Erwachsenen ausgerechnet das Kind mit dem Kleid die gechillteste Figur ist. Im Grunde scheint Lili zunächst die einzige zu sein, die weiß, was sie wirklich will und was ihr gut tut – bis die Erwachsenen so lange an ihr gezerrt haben, dass selbst sie ins Wanken gerät. Großartig gespielt wird dieses Kind von der jetzt elfjährigen Kinodebütantin Laurì. Und auch Ava Petsch als kleine Schwester Erna ist zum Knuddeln.

Geht ans Herz und an die Lachmuskeln: "Oskars Kleid"
Natürlich gab’s im Netz schon Schelte wegen des Deadnamings im Titel „Oskars Kleid“ – schließlich will Lili diesen Namen ja ablegen. Aber wie sonst könnte man den Konflikt besser auf zwei Worte runterbrechen? Genau um diesen Widerspruch geht’s doch, denn für Papa Ben ist es ja eben nicht „Lilis Kleid“. Und aus seiner Sicht sehen wir die Geschichte ja auch – sonst könnten wir für so eine ambivalente Macker-Figur wie Ben schlecht Sympathie empfinden.
Am Ende ist Drehbuchautor Florian David Fitz und Regisseur Hüseyin Tabak trotz der Schwächen ein sensibler Umgang mit einem wichtigen Thema gelungen – und ein Familienfilm für Menschen ab 6, der uns berührt, nachdenklich macht und trotzdem herzlich lachen lässt. Was will man mehr an Weihnachten?