Von Mireilla Zirpins
Scientology-Jünger Tom Cruise als berühmtester deutscher Widerständler und Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg – allein diese Vorstellung erhitzte die Gemüter, als die erste Personalie zu Bryan Singers Filmprojekt „Walküre“ bekannt wurde. Selten hat es um einen Film im Vorfeld so ein Geschrei gegeben. Eigentlich hatte Thomas Kretschmann den Stauffenberg spielen sollen. Der musste nun mit einer kleineren und weniger heldenhaften Rolle Vorlieb nehmen. Unter einem bösen Stern stehe die Produktion, raunte man in diversen Gazetten, kam es doch zu diversen Unfällen am Set. Dazu stritt die Produktionsfirma mit der Bundesregierung darum, Szenen wie die Hinrichtung Stauffenbergs im Bendlerblock drehen zu dürfen – und das Feuilleton darum, ob es moralisch vertretbar sei, dort noch einmal Hakenkreuzfahnen aufzuhängen.
Kaum ein Werk war im vergangenen Jahr so sehr in aller Munde – noch bevor jemand überhaupt nur eine einzige Sequenz daraus gesehen hatte. Seit der Film in den USA angelaufen ist, ist es merkwürdig still geworden um „Walküre“. Dass der Film viel besser ist als sein Ruf, hat die Unkenrufer wohl verstummen lassen. Denn Tom Cruise macht seine Sache als militärischer Ober-Verschwörer gar nicht mal so schlecht.
Auch das Stauffenberg-Drama "Walküre" weist ein paar Seltsamkeiten auf. Darüber, dass Tom Cruise extra Wasserwellen für den Film bekommen hat, obwohl die Haare des echten Stauffenberg platt wie ein Brett waren, darüber wollen wir uns hier gar nicht erst auslassen. Schließlich hat Cruise von Natur aus glattes Haar. Aber warum hat er in der Szene, in der er Hitler die überarbeiteten Walküre-Unterlagen überreicht, auf einmal wieder alle fünf Finger? Vorher waren es nur noch drei.
Dass viele seiner zahlreichen hochkarätigen Nebendarsteller wie Tom Wilkinson (Friedrich Fromm), Kenneth Branagh (in der Rolle des Henning von Tresckow), Bill Nighy (als Friedrich Olbricht), Thomas Kretschmann (Otto Ernst Remer) oder Christian Berkel (Mertz von Quirnheim) ihre zum Teil kurzen Auftritte nuancierter bestreiten, beweist nur, wie viel dieser Film bis ins kleinste Detail zu bieten hat. Äußerst geradlinig und schnörkellos chronologisch entwickelt Singer („Die üblichen Verdächtigen“, „X-Men“, „Superman Returns“) seine extrem komplexe Geschichte, die damit beginnt, wie Graf Stauffenberg 1943 beim Nordafrika-Feldzug in Tunesien sein linkes Auge, die rechte Hand und zwei Finger der linken Hand verliert.
Kaum ist er aus dem Lazarett entlassen, wird er von Generalmajor von Tresckow und General Olbricht angeworben, einen Umsturz anzuzetteln. Den hochrangigen Militärs passt Hitlers Kriegspolitik nicht mehr in den Kram. Stauffenberg bringt den Konflikt auf den Punkt: Als Wehrmachtssoldat hat er einen Eid geleistet, Hitler zu dienen. Nur wenn letzterer tot wäre, hätte man eine Chance, hochrangige Nazi-Chargen für den Putsch zu gewinnen. Stauffenberg ist sogar selbst bereit, die riskanteste Arbeit zu übernehmen und eine Bombe in Hitlers Hauptquartier „Wolfsschanze“ zu deponieren. „Ich betreibe Hochverrat mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln. Kann ich auf Sie zählen?“, fragt er charmant, als er seinen Adjutanten Werner von Haeften (Jamie Parker) in seine Pläne einweiht. Bei solch starken Sätzen macht es nichts, dass Tom Cruise ein arg unverbindliches Gesicht dazu macht.
Wie die Geschichte am 20. Juli 1944 ausgeht, weiß in Deutschland hoffentlich jeder Achtklässler. Singer gelingt es trotzdem, sie spannend auszugestalten. Wie Tom Wilkinson als Schlüsselfigur Generaloberst Fromm wie ein Fähnchen im Wind schwankt, ist einfach großartig dargestellt: „Ihren Freunden richten Sie aus, dass ich am Ende immer auf der richtigen Seite lande“, sagt der Opportunist, der immer an irgendeinem Stuhl sägt: „Wenn die Musik zu spielen aufhört, wäre ich froh, wenn für Keitel kein Stuhl übrig bliebe.“ Mit solch geschliffenen Dialogen macht Geschichte Spaß, wird die Reise nach Jerusalem bei den intriganten Nazi-Generälen veranschaulicht, auch wenn sich gut drei Dutzend Figuren auf der Leinwand tummeln.
Politik wird hier nicht nur im Hinterzimmer gemacht, sondern auch auf dem Telegraphenamt. Äußerst hübsch ist Singers Idee, die Befehle aus der hitlerschen „Wolfsschanze“ und dem umstürzlerischen Bendlerblock in einer Fernmeldezentrale zusammenlaufen zu lassen, wo die nationale Konfusion, ob Hitler tot ist oder nicht und wer momentan im Reich das Sagen hat, perfekt visualisiert wird. Man braucht nicht mal kostspielige Monumentalaufnahmen, um ein Land in Verwirrung zu zeigen, auch wenn die Massenszenen sich sehen lassen können.
Man kann Singer vorwerfen, dass er die Verschwörer wie Gutmenschen darstellt. Männer, die sich frühzeitig gegen nationalsozialistisches Gedankengut ausgesprochen oder den Krieg nicht befürwortet hätten, wären niemals in solch hohe Positionen in diesem System aufgerückt. Das spart der Film aus. Er zeigt sie erst an dem Punkt, an dem sie gegen Hitler intrigieren. Warum sie das tun, spielt eine nebensächliche Rolle. Dass ihre Vorbehalte eher militärischer Natur waren als humanistischer, wird elegant ausgeblendet bzw. das Gegenteil einfach behauptet. Singer will Thrillerspannung evozieren, nicht Historie erzählen.
Das ist das große ethische Manko dieses handwerklich äußerst anständigen Dramas, das sich klug vom Pathos fernhält. Dass Stauffenbergs Gattin Nina (Carice van Houten) mit dem fünften Kind schwanger ist, wird nur angedeutet, wenn sie wehmütig mit der Hand über ihr Kleid fährt, das sich am Bauch noch nicht wölbt. Ein anderer Hollywood-Regisseur hätte hieraus viel Kitsch gezaubert. Singer gönnt Carice van Houten nur ein paar kurze Szenen, in denen sie kaum Sprechtext hat. Und auch der Titel gebende Walkürenritt wird nicht zum Dauerthema ausgewalzt. So gibt sich „Operation Walküre“ trotz einiger Schwächen angenehm nüchternd und vor allem bescheidend zurückhaltend. Das gilt sogar für den ewigen Sunnyboy Tom Cruise, dem wir deshalb verzeihen, dass sein Stauffenberg manchmal ein bisschen steif wirkt – und das nicht nur, weil er nur noch einen Arm hat.