Oft verklemmt: Homosexuelle im Hollywoodfilm

Die Traumfabrik hat die Homosexuellen für sich entdeckt. Das Eis scheint Ang Lee mit seinem rosa Western „Brokeback Mountain“ gebrochen zu haben. Dabei dauerte es sieben Jahre, bis es jemand wagte, Annie Proulx' im "New Yorker" veröffentlichte Kurzgeschichte über eine Homo-Liebe auf die Leinwand zu bringen.
© Brokeback Mountain / Tobis Film

Ang Lee empfand keine Berührungsängste mit dem Stoff, hatte er doch bereits 1992 in seinem Regieerstling „Das Hochzeitsbankett“ die Geschichte eines schwulen Liebespaares erzählt, dessen Harmonie ins Wanken gerät, als einer der Protagonisten eine Scheinehe eingeht und seine Ehefrau schwängert.
© Das Hochzeitsbankett / Kinowelt

Jake Gyllenhaal und Heath Ledgers Agenten hatten ihnen eigentlich von den Hauptrollen abgeraten. Doch der Erfolg gibt ihnen Recht. Zwar nahm eine große Kinokette den Film, der übrigens in den Vereinigten Arabischen Emiraten verboten ist, nach Protesten in der US-Provinz im ganzen Bundesstaat Utah aus dem Programm. Doch im Rest der USA ist das Drama, das nach ein paar Wochen schon weltweit das Zehnfache seiner Produktionskosten eingespielt hat, in aller Munde. Menschen erleben ihr „Brokeback“, also ihr Coming Out, und überall im Internet kursieren Parodien auf Bilder, Phrasen und Musik aus dem Cowboy-Streifen.
© Brokeback Mountain / dpaweb

Nur George W. Bush mochte sich bei einer Pressekonferenz in Kansas nicht über den Film unterhalten: „Mir wäre es lieber, wir könnten uns wieder über Viehzucht unterhalten“, stammelte er sichtlich verlegen, „denn ich habe den Film noch gar nicht gesehen. Ich habe aber davon gehört“. Will denn der US-Präsident es seinen Landsleuten nicht gleich tun? Immerhin haben bald zehn Millionen von ihnen den Film gesehen.
© Brokeback Mountain / Tobis Film

Dabei gehorcht Ang Lees Film doch den recht prüden Regeln des Hollywoodkinos. Es gibt nur eine explizite Liebesszene zwischen den beiden Protagonisten, in der die beiden Schafhirten, die ihre Triebe lange unterdrückten, in ihrem Camp wild übereinander herfallen. Aber der Liebesakt hat nichts Pornographisches. Hier werden kurz zwei nackte Oberkörper gezeigt, dann wird höflich auf das Zelt von außen geblendet.
© Brokeback Mountain / Tobis Film

Als einer der beiden, Ennis Del Mar, (Heath Ledger), jedoch später in seiner Ehe Sex mit seiner Frau hat, zeigt uns Ang Lee ausführlich ihre Brüste und lässt uns dabei zusehen, wie der keuchende Gatte seine Frau auf den Bauch dreht, weil er es eben am liebsten von hinten mag. Die Aufregung um „Brokeback Mountain“ kann Hauptdarsteller Ledger nicht verstehen: „Es ist unreif, sich über Sexszenen aufzuregen. Es geht um zwei Liebende. Dass es sich dabei um zwei Männer handelt, ist doch völlig egal.“ Das sieht das Publikum offenbar nach wie vor anders.
© Brokeback Mountain / Tobis Film

Immerhin: Bislang sahen Klischee-Schwule im Hollywood-Kino ganz anders aus. Das Paradebeispiel ist Tom Hanks, der in „Philadelphia“ (USA 1993) einen AIDS-kranken Anwalt spielt, der keinen anderen Anwalt als einen schwulenfeindlichen Afroamerikaner findet, als sein Arbeitgeber ihn wegen seiner sexuellen Orientierung kündigt. Natürlich erlebt er den Erfolg seiner Anti-Diskriminierungsklage nicht mehr (ein glücklicher reicher Schwuler wäre vielleicht auch ein wenig zu viel gewesen für das latent homophobe US-Publikum). Dabei ist er so schön asexuell, dass sich kein noch so prüder Zuschauer keusch die Hand vor die Augen halten muss.
© Philadelphia / dpa

Da Hanks' Charakter, natürlich ein Opern-liebender Schöngeist, mit seinem treuen Lover Antonio Banderas nur Händchen hält oder züchtige Küsschen austauscht, fragt man sich bald, wie er überhaupt an eine HIV-Infektion kommen konnte. In der Gerichtsverhandlung räumt er dann ein, mal in einem Pornokino für Schwule gewesen zu sein, wo man auch Jungs aufreißen kann – solche „sexuellen Entgleisungen“ werden natürlich möglichst kurz auf der Verbalebene abgehandelt. Und der Film räumt zwar vordergründig mit dem Vorurteil auf, AIDS könnte durch Händeschütteln übertragen werden, um selbst Missverständnisse zu schüren: In „Philadelphia“ sieht man die Immunschwäche den Menschen an, weil sie offene Stellen im Gesicht haben – symptomatisch für die AIDS-Angst Anfang der 1990er Jahre.
© Die Zeit, die bleibt / Prokino

Doch auch mehr als zehn Jahre später sind viele US-Filme über Schwule keinen Deut entspannter. 2004 drehte Irwin Winkler seine Cole-Porter-Story „De-lovely“. Die Film-Biografie über das schillernde Leben des Songwriters wird als elegantes Musical inszeniert, in dem jedoch nicht die zahlreichen Liebschaften des Komponisten mit Vertretern des eigenen Geschlechts im Vordergrund stehen, sondern seine Ehe, die als eine Art spirituelle Über-Beziehung interpretiert wird. Klar, dass die Beziehung zu der Klassefrau scheitern muss, weil Cole Porter im Park um ein paar Jungs herumstreicht. Sexuelle Handlungen mit diesen werden jedoch noch nicht einmal angedeutet. Hinterhergehen im Park muss als Andeutung schon reichen, während die einzige Bettszene Cole Porter mit Ehefrau Linda (Ashley Judd) zeigt. Verklemmter geht's nicht.
© De-lovely / 20th Century Fox

Auch in Todd Haynes' „Dem Himmel so fern“ reicht es, zwei Männer hintereinander die Toilette besuchen zu lassen, um Geschlechtsverkehr anzudeuten. Immerhin erwischt Julianne Moore ihren die Homosexualität entdeckenden Gatten beim Büro-Quickie mit einem Kollegen mit heruntergelassenen Hosen. Wir lernen: Wenn Schwule verheiratet sind, geht es um Liebe, wenn sie etwas mit Männern haben, ist es rein sexuell.
© Dem Himmel so fern / dpa

Das handhabt Ang Lee in „Brokeback Mountain“ anders, und vielleicht ist es das, was die konservativen US-Amerikaner so empfindlich reagieren lässt. Denn „Brokeback Mountain“ zeigt nicht nur die latente Homosexualität, die in vielen Männern steckt und erzeugt damit natürlich eine gewisse Angst vor der eigenen Triebhaftigkeit beim männlichen Publikum, sondern der Film tastet mit der Western-Thematik auch eine der letzten Bastionen der Männlichkeit an. Dabei gibt es schon seit 30 Jahren Gay Rodeos in den USA.
© Brokeback Mountain / Tobis Film

Die virulente Homoerotik ist zudem gar nichts Neues im Western-Genre. Nicht umsonst hat das Publikum in Filmen wie „Red River“ deutliche Anspielungen auf eine homoerotische Komponente gesehen, wenn zwei Cowboys beispielsweise mit dem Colt des anderen herumspielen, und nicht wenige Zuschauer unterstellen, dass auch Winnetou und Old Shatterhand mehr verbindet als reine Blutsbrüderschaft – kein Wunder also, dass Michael „Bully“ Herbig aus dem Thema seine schwule Persiflage „Der Schuh des Manitu“ schuf. Doch in einem Land, in dem Schwulenehen bislang nur im Staate Massachusetts möglich sind, wagten sich bisher nur wenige an einen offenen Umgang mit dem Thema Homosexualität. Und in vielen anderen Ländern ist das nicht anders.
© Der Schuh des Manitu / Constantin Film

Obwohl sich Regisseure schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Stummfilmen mit dem Thema Homosexualität auseinandersetzten, halten sich nach wie vor beharrlich Stereotype im Kino, wenn es um Nicht-Heterosexuelle geht:
© Mein wunderbarer Waschsalon / Filmwelt

Selten handeln die Filme von Homophobie, wie William Wylers sensibles „Infam“ aus dem Jahr 1961, in dem Shirley MacLaine und Audrey Hepburn als zwei junge Internatslehrerinnen von ihren Schülerinnen des Lesbischseins verdächtigt werden. Auch in Géza von Radványis Remake von „Mädchen in Uniform“ (1958) ist es wie im Original von 1931 ein Internat, in dem die Außenseiterin Manuela (Romy Schneider) in leidenschaftliche Schwärmerei für ihre Erzieherin Fräulein von Berndorf (Lilli Palmer) verfällt und darauf die Schule verlassen muss. Wir lernen: Mädchen verlieben sich nur in Mädchen, wenn partout keine Jungs in der Nähe sind und wollen dann sterben.
© Infam / Filmwelt

Und das ist noch ein vergleichsweise sensibler Umgang mit der Thematik. Oft sind die Filme, die Lesben zeigen, selbst homophob. Ist es ein Zufall, dass es selbst in harmlosen Komödien wie „Natürlich blond“ eine böse Lesbe gibt, dass Sharon Stone in „Basic Instinct“ und Charlize Theron in „Monster“ Lesben spielen, die mit Männern schlafen, um sie beim oder nach dem Geschlechtsakt zu töten?
© Monster / dpa

Da haben es Schwule im Film schon ein wenig besser. Sie dürfen oft als bester Freund der Protagonistinnen herhalten. Natürlich kann fast jeder Popcorn-Kino-Schwule auch zumindest temporär umgepolt werden. So wird Madonna in der seichten Komödie „Ein Freund zum Verlieben“ von ihrem besten Kumpel, dem schwulen Gärtner Robert schwanger. In „Die Hochzeit meines besten Freundes“ heimst Rupert Everett als Alibi-Schwuler die meisten Lacher ein, als er eine Tunten-Persiflage aufführt.
© Ein Freund zum Verlieben / dpa

Überhaupt sind Schwule in Komödien sehr gefragt. Ob Moritz Bleibtreu als treudoofer Homo Karl in „Stadtgespräch“ oder Joachim Król als unglücklich in Til Schweiger verliebter Norbert in „Der bewegte Mann“ – über Schwule lacht man gern, auch wenn's so zotig zugeht wie in der Verfilmung des Ralf-König-Comics „Wie die Karnickel“. Neuerdings dürfen Schwule in deutschen Comedys nicht nur in Leder-Montur aufspazieren, sondern sogar im Rudern gegen Heterosexuelle antreten („Sommersturm“) oder Fußball spielen.
© Sommersturm / dpa

In „Männer wie wir“ (2004) sucht sich ein Homosexueller, der wegen seiner Neigungen aus seiner Hetenmannschaft vertrieben wurde, in Darkrooms und Dönerläden sein Team aus Gleichgesinnten zusammen, und in „FC Venus“ (Kinostart April 2006) tritt eine Fußballmannschaft gegen ein Team aus ihren Ehefrauen und Freundinnen an - das schwule Pärchen muss sich gleichmäßig auf die Herren- und die Damentruppe verteilen.
© Männer wie wir / dpa

Auch in unseren Nachbarländern macht man sich gern über Männer lustig, die Männer lieben. Daniel Auteuil verliert in „Ein Mann sieht rosa“ im Jahr 2001 fast seinen Job in einer Kondomfabrik, kann die Kündigung jedoch abwenden, weil er sich im rosa Rippstrickpulli als Schwuler ausgibt und sich über Diskriminierung beschwert. In der Sommerkomödie „Meeresfrüchte“ entdeckt eine ganze Familie ihre schwulen Seiten, und der erste Teil der Dragqueen-Trilogie „Ein Käfig voller Narren“ wurde sogar in den USA als Remake neu aufgelegt.
© Ein Mann sieht rosa / dpa

Doch zum Glück gibt es neben solchen Klischee-beladenen Darstellungen auch Filme, die sich ihren Figuren mit Fingerspitzengefühl und Respekt nähern. Der schwule Regisseur Gus van Sant inszenierte die Teenie-Stars River Phoenix und Keanu Reeves in seinem Drama „My Own Private Idaho“ (USA 1991) als drogensüchtige Strichjungen, die zarte Gefühle füreinander zu entwickeln beginnen. Aufgenommen 1994.
© Der bewegte Mann / dpa

In James Ivorys „Maurice“ (GB 1987) wird der Protagonist zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem englischen College von seinem Kommilitonen (Hugh Grant) erfolgreich angebaggert, doch dann entscheidet dieser sich für eine gesellschaftskonforme heterosexuelle Ehe. Der vor den Kopf gestoßene Maurice findet schließlich Erfüllung in einer Beziehung zum Wildhüter Alec (Rupert Graves), die in jeder Hinsicht nicht gesellschaftsfähig ist.
© Maurice / Concorde

Pedro Almodóvar ist ein Filmemacher, der zwar oft die Grenzen des guten Geschmacks tangierte, aber mit seinen Transvestiten-Dramen „Alles über meine Mutter“ oder der schwulen Missbrauchsgeschichte „La mala educación – schlechte Erziehung“ wunderschöne und sensible Beiträge zum Diskurs leistete. „Alles über meine Mutter“ wurde 2000 mit dem Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film ausgezeichnet – so wie im gleichen Jahr Hilary Swank für ihre Hauptrolle in „Boys Don't Cry“. Sie mimt in dem Drama eine junge Frau, die sich im falschen Körper fühlt.

So darf man also getrost mit Unverständnis reagieren, wenn in diesem Jahr vom „Coming Out“ der Academy oder den „schwulen Oscars“ die Rede war, nur weil neben „Brokeback Mountain“ noch „Capote“ als Lebensgeschichte des homosexuellen Schriftstellers Truman Capote und „Transamerica“ als Roadmovie über einen Mann, der kurz vor der Geschlechtsumwandlung von der Existenz seines unehelichen Sohnes erfährt, ins Rennen um die Oscars gingen.
© Capote / Sony Pictures

Mit der Entscheidung der Juroren, bei den Oscars verstärkt intelligente Dramen zu berücksichtigen, die auch von Homo-, Bi- oder Transsexuellen handeln, wird eine bereits begonnene Tendenz fortgesetzt, die zumindest hoffen lässt, dass solche Filme einem breiteren Publikum schmackhaft gemacht werden.
Mireilla Häuser
© Transamerica / WENN
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