Offside - Kinostart: 29. Juni 2006

Deutschland hat das WM-Fieber ergriffen. Ganze Betriebe werden lahm gelegt, während die deutsche Nationalmannschaft nach dem Ball und manchmal auch nach den Waden der Gegner tritt. Vor allem aber sitzen diesmal mehr Frauen als in den vergangenen Jahren vor dem heimischen Bildschirmen, vor Großleinwänden in Biergärten oder in den Stadien und lassen die Träume des Einzelhandels zerplatzen, durch erweiterte Öffnungszeiten während der Matches einen schnellen Euro mit den gelangweilten Gattinnen oder Freundinnen der Fußballfans zu machen.
© Movienet

Während sich hierzulande kaum mehr jemand über Mädchen wundert, die in Landesfarben geschminkt und behängt bauchfrei in die Arenen ziehen, ist im Iran Frauen der Zutritt zu Fußballstadien nicht gestattet. Das ist umso interessanter, als sich die iranische Mannschaft überraschend für die WM qualifiziert hatte. So kommt nun am 29. Juni ein Film des Iraners Jafar Panahi ins Kino, der anlässlich des Qualifizierungsspiels eine Geschichte von dieser absurden Diskriminierung erzählt.
© Movienet

Auch wenn das iranische Team schon wieder wenig ruhmreich den Rückzug angetreten hat, ist es noch nicht zu spät, auf die Geschlechterprobleme in einem wenig reformwilligen Staat hinzuweisen. Und so lässt Panahi zum Spiel Iran gegen Bahrain, das am 8. Juni 2005 den Einzug Irans in die Riege der WM-Teilnehmer besiegelte, nicht nur grün-weiß-rot beflaggte Fußballanhänger in Teheran vor dem Stadion auflaufen, sondern auch die eine oder andere ballsportbegeisterte Frau.
© Movienet

In Männerkleidern und mit tief ins Gesicht gezogenen Schirmmützen versuchen die weiblichen Fans, an den Torhütern vorbei zu kommen und fallen doch fast alle bei der Leibesvisitation durch. Die nicht autorisierten Zuschauerinnen werden sofort aus dem Verkehr gezogen und – brutalste Strafe für einen Fußballfan – während die Fangesänge aus den Kurven schwappen und das Publikum dem Anpfiff herbeischreit, abgeführt und hinter den oberen Rängen des Stadions in Hörweite des Geschehens zusammengepfercht.
© Movienet

Die Damen pochen auf ihr Recht, stellen wütend die ganze Regelung der Staatsmacht in Frage und entlarven die zementierten Regeln als hohle Phrasen, die auf überbrachten Vorurteilen basieren. Frauen sollen nicht neben Männern im Stadion Platz nehmen, weil letztere dort gern aus sich heraus gehen und ihren Emotionen mit derben Aussprüchen freien Lauf lassen. Das sehen die inhaftierten Ladies gar nicht ein und quittieren ihre ausweglose Situation mit solch frechen Worttiraden, dass man daran zweifelt, dass sie im Stadion noch etwas hätten dazulernen können.
© Movienet

Dass Männer als Väter oder Brüder ungefährlich seien, sehen die Ordnungskräfte ein, führen aber an, dass der eigene Vater oder Bruder der Mädchen für andere Frauen Fremde seien und damit eine Gefahr darstellten. „Und wieso ist es dann kein Problem, im Kino neben einem Kerl zu sitzen?“ kontert eine der Gefangenen schlagfertig. „Da ist es doch dazu noch dunkel!“ Da wissen die Jungs auch nichts mehr zu entgegnen, außer, dass sie hier Dienst nach Vorschrift machen und eigentlich auch lieber das Spiel gucken würden.
© Movienet

Als dann noch eins der Mädchen vor Aufregung dringend austreten muss, glaubt einer der Aufpasser schließlich die Lösung gefunden zu haben: Fußball ist ein Männersport, weil die schwachen Blasen der Frauen 90 Minuten nicht durchhalten. Doch vor allem stehen die Gesetzeshüter vor einem echten Problem: Wo soll die Frau ihr Geschäft verrichten? Denn natürlich sind in einem frauenfeindlichen Staat wie dem Iran in Fußballstadien gar keine Damentoiletten vorhanden...
© Movienet

Frech und unverblümt zeigt Panahi, wie hier die Hüter der staatlichen Ordnung von der intellektuell deutlich überlegenen Damenwelt in Grund und Boden argumentiert werden. Dass die Mädels dabei auch über Fußballtaktiken besser Bescheid wissen als die Jungs, nimmt man ihnen glatt ab.
© Movienet

Dabei ist Panahi so konsequent, den Fußball, den die Frauen verpassen, auch dem Zuschauer vorzuenthalten, der umso eifriger mit den Protagonistinnen mitfiebert, um doch noch an ein paar Fetzchen von dem Spiel zu kommen. In einer der schönsten Szenen des Films entfernt sich einer der Aufpasser ein paar Meter von der Gruppe der Bewachten und erhascht einen Blick ins Innere des Stadions – natürlich nicht, ohne das Gesehene gleich emotional zu kommentieren. Sofort sind die Damen Feuer und Flamme, das Spiel aus ihrer Abseitssituation zumindest indirekt zu genießen – und fordern eine qualitativ hochwertige Berichterstattung statt „Fußballjournalismus auf Lokalradioniveau.“
© Movienet

Auch wenn in diesem mit einfachsten Mitteln produzierten Spielfilm keine einzige Spielszene gezeigt wird, ist „Offside“ doch ganz und gar ein Film über das Kicken und die Liebe zum Ballsport, mit dem ein Fußballfan sicher mehr anfangen kann als mit einer Fever-Kitsch-Schmonzette wie der FIFA-geförderten Aschenputtel-Story „Goal“.
© Movienet

Da mag man es verzeihen, wenn Panahi am Ende ein bisschen dick aufträgt, um den Opfern der Fußballkatastrophe Respekt zu zollen, die sich zehn Wochen vor dem hier thematisierten Spiel im gleichen Stadion abspielte. Bei diesem Spiel der iranischen Mannschaft gegen Japan wurde in einer Massenpanik nach offiziellen Angaben sechs Menschen zu Tode geprügelt. Nach Panahi waren es sogar sieben – und raten Sie, welches Geschlecht den Gerüchten zufolge die verheimlichte siebte Leiche gehabt haben soll.
© Movienet

Bleibt zu wünschen, dass dieser humorvoll-bissige und vor allem mutige Film, der völlig zu Recht bei der Berlinale 2006 mit dem Silbernen Bären belohnt wurde, eines Tages auch im Heimatland des Regisseurs Jafar Panahi zu sehen sein wird. Zumindest hätten wir da die Gewissheit, dass auch Frauen im Publikum wären. Im Kino dürfen sie ja im Dunkeln neben den Männern Platz nehmen.
Mireilla Häuser
© Movienet
01 12
