Natascha-Kampusch-Film '3096 Tage' - Filmkritik

Amelia Pidgeon spielt Natascha Kampusch
Amelia Pidgeon als kleine Natascha © dpa, Jürgen Olczyk

3 von 5 Punkten

Lässt sich wirklich in Kinobilder fassen, welchem Martyrium die entführte Natascha Kampusch in den acht Jahren ihrer Gefangenschaft ausgesetzt war? Und bedient ein Film, der sich an dieses heikle Unterfangen wagt, nicht automatisch einen gewissen Voyeurismus? Was von dem Erlittenen darf man überhaupt zeigen? Diesen Vorbehalten sah sich schon Bernd Eichinger 2010 ausgesetzt, als er Natascha Kampusch dazu überredete, die Filmrechte an ihrer Geschichte zu verkaufen. Nach seinem Tod haben Drehbuchautorin Ruth Thoma und Regisseurin Sherry Hormann das Projekt übernommen. Doch auch sie müssen sich diesen Fragen stellen.

Sehr vorsichtig und zunächst fast distanziert nähert sich Hormann, die bei der Verfilmung von Waris Diries Roman ‚Wüstenblume‘ Fingerspitzengefühl beim Umgang mit dem heiklen Thema Genitalverstümmelung bewies, ihrem Sujet. In ein paar Bildern wird das zerrüttete Elternhaus Natascha Kampuschs skizziert. Weinend verlässt die Zehnjährige (ganz ergreifend und sehr natürlich gespielt von der elfjährigen Amelia Pigeon aus England) morgens die Wohnung ihrer Mutter in einer Wiener Plattenbau-Vorstadt und lässt sich nicht wie sonst zur Schule fahren. Ihre Mutter hat sie ins Gesicht geschlagen, doch noch bevor das Kind die Demütigung verarbeiten kann, hat sie der arbeitslose Fernmeldetechniker Wolfgang Priklopil (Thure Lindhart aus ‚Illuminati‘) schon in seinen weißen Lieferwagen gezerrt. Schnell geht das vor sich, ein anderer Regisseur hätte vermutlich zehn Minuten auf diese Szene verwendet, sie dramatisch aufgebauscht und als verzweifelten Kampf inszeniert. Bei Hormann geht Priklopil eher geschäftsmäßig vor. Das Beängstigende an ihm ist nicht sein Äußeres, sondern seine Spießigkeit im Eigenheim mit Fototapete, sein Sauberkeitsfimmel.

Erst in der zweiten Hälfte der 109 Minuten wird der Entführer, der zunächst fast zu freundlich gezeichnet ist, langsam entmenschlicht. Da schlägt er die mittlerweile pubertierende Natascha, jetzt weitaus künstlicher gespielt von Antonia Campbell-Hughes (‚Bright Star‘), und lässt sie unbekleidet in seinem piefigen Reihenhaus schuften wie eine Sklavin. Der Rest ist bekannt – aus den Nachrichten des Jahres 2006, als Natascha Kampusch entkommen konnte, aus Interviews mit ihr und aus ihrer Autobiografie, auf der das Drehbuch in weiten Teilen aufbaut. Einzig die hier gezeigten Sexszenen wurden im Buch Kampuschs explizit ausgelassen. Nicht nur, dass es Geschmackssache ist, ob man so etwas zeigt - gerade bei diesen Sequenzen erweist sich die Besetzung als ungünstig. Priklopil-Darsteller Lindhardt (Jahrgang 1974), der auch darstellerisch eine Enttäuschung ist, wirkt eher jung und bubihaft und nicht wie ein Mann von fast vierzig Jahren. Antonia Campbell-Hughes ist 30 Jahre alt. Zwar sieht sie jünger aus, doch kauft man ihr die 14-Jährige nicht ab. Dass sich hier ein ausgewachsener Mann über ein fast 30 Jahre jüngeres Kind hermacht, muss man als Wissen schon mitbringen.

Handwerklich nicht viel auszusetzen

Thure Lindhardt und Antonia Campbell-Hughes
Lindhardt und Campbell-Hughes © dpa, Jürgen Olczyk

Wer Angst hat, darüber hinaus Dinge zu sehen zu bekommen, die ihn nachhaltig verstören könnten, sei beruhigt. Hormann zeigt nur Ausschnitte aus Kampuschs Leiden; nur das, was man einem Zuschauer guten Gewissens zumuten kann, ohne ihn zu traumatisieren. Was die Grausamkeit angeht, verlangt so mancher Horrorfilm seinem Publikum mehr ab. Und genau das kann man dem Film zum Vorwurf machen: Wenn er angetreten ist, das Leiden der Natascha Kampusch auch nur im Ansatz zu erfassen, dann ist dieser Versuch als gescheitert zu betrachten. Er macht es dem Zuschauer einfach – zu einfach vielleicht.

Dabei ist handwerklich nicht viel zu kritisieren. Hormanns Ehemann Michael Ballhaus, der sich eigentlich aus dem Filmgeschäft zurückgezogen hatte, ist für sie noch einmal hinter die Kamera zurückgekehrt und überträgt die Enge des zwei-mal-drei-Meter-Verlieses auf die Leinwand. Seine Arbeit ist tadellos, genauso wie die Darstellerleistung der jungen Amelia Pidgeon, die eigentlich nur bei der Castingchefin vorbeischaute, um die Kätzchen ihres Sohnes anzuschauen. Doch manche Szenen bekommen einen seltsamen Beigeschmack, wenn man die aktuelle Nachrichtenlage aufmerksam verfolgt hat. Nach wie vor ranken sich wilde Spekulationen um den Fall Kampusch: Handelte Priklopil allein, oder hatte er einen Komplizen, wie eine Augenzeugin behauptet? Der Film bezieht hier eindeutig Position zugunsten der Einzeltäterthese.

Auch gibt es seit langem Spekulationen über einen möglichen Missbrauch Kampuschs durch ihre Mutter, über Fotos, die Kampusch als Kind leichtbekleidet mit Stiefeln und einer Reitgerte zeigten. Dass der Film ausgerechnet dieses viel diskutierte Bildmotiv aufgreift und es so interpretiert, dass das Grundschulkind Natascha Kampusch dieses aufreizende Outfit selbst gewählt hätte, bewirkt, dass man diesen Film nicht nur unter künstlerischen Gesichtspunkten bewerten kann, sondern auch unter ethischen beurteilen muss. Was auch immer wirklich geschehen ist mit Natascha Kampusch, der Film schafft es nicht im Ansatz, das Grauen fassbar zu machen und bezieht zudem zumindest zum Teil fragwürdige Positionen. Da wäre es vielleicht doch eine Option gewesen, das Ganze zu lassen.

Von Mireilla Zirpins

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