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Mit Schnauz und Plauze als französischer Baader: „Public Enemy No. 1“

Vincent Cassel futterte sich für 'Public Enemy No. 1' 20 Kilo an

Mit Schnauz und Plauze als französischer Baader: „Public Enemy No. 1“

Es ist unter Charakterdarstellern gerade extrem angesagt, körperlich alles zu geben für eine Rolle. Christian Bale und Colin Farrell hungerten sich bis zum Skelett herunter für „The Machinist“ respektive „Triage“, und Natalie Portman ließ sich für „V wie Vendatta“ eine Glatze scheren. Was „tout Hollywood“ macht, ist für den französischen Superstar Vincent Cassel, der sich in jede seiner Rollen mit Verve hineinkniet, das Mindeste. So futterte sich der sonst eher drahtige Schauspieler 20 Kilo an, um so eine Plauze zu haben wie der französische Schwerverbrecher Jacques Mesrine, den er in dem Kinozweiteiler „Public Enemy Nr. 1“ spielt.

Nochmal würde er das allerdings nicht machen, gestand er im Interview. Seine Frau Monica Bellucci hat sich ernsthaft Sorgen um ihn gemacht. Nicht, weil er weniger sexy als sonst wirkte, sondern weil es ganz schön ungesund ist, so viel Übergewicht mit sich herumzuschleppen. Und so viel körperlicher Einsatz wäre nicht mal nötig gewesen, denn Cassel überzeugt auch so allein durch sein Mienenspiel als meistgesuchter Ganove Frankreichs.

Ein echter Macho ist sein Jacques Mesrine, und eine Mischung aus „Taxi Driver“ Travis Bickle und RAF-Kämpfer Andreas Baader. In den Siebzigern ein Volksheld, obwohl er Banken überfiel und so manches Menschenleben auf dem Gewissen hatte. So wie Teile der deutschen Bevölkerung erstaunlich lang mit der RAF sympathisierten, waren auch zahlreiche Franzosen bereit, dem schwer bewaffneten, aber charismatischen Mesrine Unterschlupf zu gewähren

Diese großartige Ein-Mann-Show brachte Vincent Cassel zu Recht einen César ein

Erst als seine Gewaltausbrüche immer selbstherrlicher wurden und in ganz Frankreich der polizeiliche Notstand ausgerufen wurde, war’s vorbei mit dem Mesrine-Kult. Und der Ganove selbst wurde bei einer eher unspektakulären Straßenkontrolle von der Staatsgewalt erschossen. Hier beginnt Jean-François Richets Film, der in zwei abendfüllenden Teilen und einer groß angelegten Rückblenden-Struktur erzählt, wie aus dem orientierungslosen Algerienkrieg-Heimkehrer Frankreichs meistgesuchter Verbrecher der Siebziger wurde.

Im Zentrum stehen Richets charmant eklige Hauptfigur und der Zeitgeist der späten Sechziger und frühen Siebziger Jahre. Jacques Mesrine liebt die Frauen, aber er achtet sie nicht. Prostituierte sind seine ersten Weggefährtinnen, in Spanien schwängert er ein junges Ding (Elena Anaya) und muss heiraten. Die Ehe scheitert, als sie merkt, dass Mesrine in keinem Job Fuß fasst, sondern Gelegenheitsverbrechen für den prolligen Bandenchef Guido (passend besetzt mit Gérard Depardieu) übernimmt. Andere schicke Frauen (Cécile de France, Ludivine Sagnier) teilen Bett und Beute mit dem immer krimineller werdenden Mesrine. Der wird regelmäßig wieder eingebuchtet und kann sich nun auch noch als Ausbrecherkönig profilieren. Ein bisschen flacht die Geschichte nach hinten hinaus ab, aber spannend ist sie allemal inszeniert.

Tiefenpsychologisch über Mesrines Motive zu spekulieren, maßen sich Richet und sein Hauptdarsteller Cassel nicht an. So bleibt die Figur des eitlen Kriminellen immer ein bisschen oberflächlich, aber irgendwie passt das perfekt zu Mesrines Popstar-Image. Cassel verleiht ihm dazu eine derart enorme Präsenz zwischen testosteron-geschwängerter Männlichkeit, entwaffnendem Charme und erstaunlicher Selbstverliebtheit, dass der Zuschauer die Faszination nachvollziehen kann, die der Mann auf seine Zeitgenossen - und vor allem -genossinnen - ausübte. Diese großartige Ein-Mann-Show brachte Vincent Cassel gerade zu Recht einen César ein – den französischen Oscar für die beste Hauptrolle. Da haben sich die 20 Kilo doch gelohnt.

Von Mireilla Zirpins

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