‚Les Misérables‘: Oscar-Hype gerechtfertigt? - Filmkritik

3 von 5 Punkten
Alles in diesem Film schreit nach Oscars: Anne Hathaways herzzerreißende Darstellung der verhungernden Prostituierten Fantine, die aufwändigen Kostüme und die zum Teil hochkarätigen Gesangseinlagen, die allesamt vor laufender Kamera eingesungen wurden. Dennoch kommt das Mammut-Projekt ‚Les Misérables‘ nicht über Musical-Mittelmaß hinaus. Woran liegt’s?
Dabei hat die musikalische Adaption des Literaturklassikers von Victor Hugo alles, um sein Publikum zu bewegen: Tragische Figuren, mit denen man mitleiden kann, eingängige Songs und eine Story, die im Paris der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt und vor Schauwerten geradezu platzen müsste. Anne Hathaway spielt die schöne Fantine, die in einer Zeit, in der Frauen nichts zu melden hatten, wegen ihres unehelichen Kindes ihren Job verliert. Bürgermeister Madeleine (Hugh Jackman) schaut tatenlos zu. Erst als Fantine, abgerutscht zur Straßendirne, den Hungertod stirbt, zeigt er Mitgefühl und nimmt Fantines kleine Tochter Cosette zu sich und behandelt sie wie sein eigenes Kind.
Dabei kommt Monsieur Madeleine selbst aus der Gosse. Eigentlich heißt er Jean Valjean, stahl einst ein Stück Brot und wurde mit fünf Jahren Haft extrem hart dafür bestraft. Aus den fünf Jahren wurden 19 wegen zahlreicher Fluchtversuche, bis Valjean endlich die Flucht gelang. Unter falschem Namen stieg er als Madeleine auf zum Bürgerlichen und will nun ein guter Mensch werden, doch Polizeiinspektor Javert (Russell Crowe) ist ihm stets auf den Fersen. Der prinzipientreue Beamte glaubt: Einmal Verbrecher, immer Verbrecher. Deshalb ist es sein Lebensziel, den Ausbrecher Valjean doch noch zu schnappen und wieder dingfest zu machen.
Nicht alle überzeugen stimmlich

So ist auch das Glück von Cosette (als Erwachsene gespielt von Amanda Seyfried) stets in Gefahr – vor allem, als sie in Paris ihr Herz an einen süßen Revoluzzer (Eddie Redmayne aus ‚My Week With Marilyn) verliert, ihr Vater aber wieder umziehen möchte, um seine wahre Identität zu vertuschen…
Vor allem Fantines Erniedrigung und Verzweiflung geht unter die Haut – dank Anne Hathaways großartiger Darbietung. Doch nach nicht mal einer Stunde ist die arme Prostituierte verhungert. Danach wird es schwierig für den Zuschauer. Hugh Jackman schlägt sich zwar tapfer als Valjean im Selbstläuterungsprozess, doch ist sein Gegenspieler Russell Crowe stimmlich so schwach auf der Brust, dass er es nicht schafft, beim Singen auch noch den Gesichtsausdruck zu variieren. So überwiegt in manchem Gesangsduell der beiden die Fremdscham.
Gekonnte Sangesleistungen wie die der jungen Samantha Barks als Eponine verpuffen in der schlechten Dramaturgie von Tom Hooper (‚The King’s Speech‘), dem es nicht gelingt, das Musical durch die Mittel des Kinos aufzuwerten. Hier wird einfach ein Bühnenstück abgefilmt, dessen Bauten teils wie Theaterkulissen wirken. Helena Bonham Carter und ‚Borat‘-Darsteller Sacha Baron Cohen sollen einen komödiantischen Kontrapunkt setzen, changieren aber derart übertrieben, dass es nur klamaukig wirkt. Ein bisschen mehr Konzept hätte hier Wunder wirken können. Die tollen Songs machen einiges wieder wett. Das bisschen Sprechtext, das in der deutschen Synchro-Fassung übrigbleibt, wirkt da schon wie ein Fremdkörper. Daher sollten Sie in jedem Fall die Originalfassung bevorzugen, selbst wenn Sie Ihrem Englisch nicht trauen – den größten Teil der 158 Minuten werden Sie eh die Untertitel der Liedtexte lesen.
Von Mireilla Zirpins