'Jane Eyre’: Packendes Kostümdrama

4 von 5 Punkten
Aus ‚Alice im Wunderland’ wird ‚Jane Eyre’: Mia Wasikowska brilliert als Titelheldin in der Neuverfilmung von Charlotte Brontës Literaturklassiker, mit der Regisseur Cary Joji Fukunaga ein atmosphärisch dichtes und spannendes Werk gelungen ist. Dass das Kostümdrama am ‚Meisterwerk’-Status knapp vorbeischrammt, liegt an ein paar kleinen dramaturgischen Schwächen.
Als die 18-jährige Jane Eyre eine Stelle als Gouvernante im Herrenhaus Thornfield antritt, ahnt sie nicht, dass sich ihr Leben von nun an komplett ändern wird. Eigentlich ist ihr Job, die Pflegetochter des Hausherrn, Mr. Rochester (Michael Fassbender, ‚Inglorious Basterds’), zu unterrichten. Doch nach und nach schwant ihr, dass ihr Chef ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt. Dass sich die beiden ineinander verlieben, verkompliziert die Sache außerdem.
Mia Wasikowska verkörpert Jane Eyre mit unglaublicher Ruhe und zugleich hoher Intensität. Gemäß dem Frauenbild des 19. Jahrhunderts, nach dem Frauen gehorchen und sich unterordnen mussten, ist Janes Gesichtsausdruck beherrscht. Dennoch nimmt man Wasikowskas Jane Eyre ab, dass sie trotz ihrer schwachen Position als mittellose Frau ohne hohe gesellschaftliche Stellung nach Freiheit und Glück strebt.
Das liegt auch an der hervorragenden Kameraführung. Die Kamera verharrt oft sekundenlang auf Wasikowskas Gesicht, um die kleinste Regung einzufangen, die trotz aller Kontrolliertheit hier und da durchblitzt. Schauspielerisch gesehen eine große Leistung, bei der nur eine mithalten kann, nämlich Judi Dench (Bonds Chefin ‚M’ aus den 007-Filmen) als Rochesters warmherzige Haushälterin Mrs. Fairfax. Auch die Räumlichkeiten im Haus sowie Außenschüsse werden in eher langen Einstellungen festgehalten. Schnelle Schnitte oder hektische Schwenks gibt es nicht. Musik setzt der Regisseur in seiner zweiten Regiearbeit nach ‚Sin Nombre’ ebenfalls nur sparsam ein.
Fukunagas Film besticht vor allem durch seine Lichtsetzung – oder besser: durch den Mangel an Licht. Kerzenlicht und Kaminfeuer dienen als einzige Lichtquelle, was sehr authentisch wirkt und zugleich die unheilvolle Stimmung verstärkt. Zusätzlich unterstreicht der Filmemacher mit dem gezielten Einsatz von Horrorfilm-Elementen den Charakter des Schauerromans: Da hört man mysteriöse Schreie und allerlei undefinierbare Geräusche, deren Ursprung später in einer dramatischen Wende geklärt wird.

Einziger Wermutstropfen ist die Erzählstruktur: Die Story setzt auf Brüche und Rückblicke. Grundsätzlich keine schlechte Idee, um Spannung zu erzeugen – schließlich will man wissen, wie sich die Einzelteile am Ende zusammenfügen. Nur: Der Zuschauer muss ‚mitgenommen’ werden. Und hieran hapert es. Die Binnenhandlung, die den Hauptteil des Filmes ausmacht, endet zu abrupt, so dass sich der Zuschauer nach geschätzten 90 Minuten recht unvermittelt und leicht desorientiert in der Rahmenhandlung wiederfindet.
Grundsätzlich tut das dem Sehvergnügen aber keinen Abbruch. Fazit: Kein typisches Popcorn-Kino für die Massen, eher ein dramatisches Sittengemälde mit viel Herzschmerz, hervorragenden Schauspielern und hohem Taschentuch-Faktor.
Von Esther Hetzert
Bildmaterial: Tobis