In ‘Her’ hat Joaquin Phoenix Cybersex mit Scarlett Johansson

4,5 von 5 Punkten
Können Sie sich vorstellen, sich in Siri, den Sprachassistenten Ihres iPhones, zu verlieben? Das finden Sie absurd? Dann stellen Sie sich mal vor, Siri würde nicht irgendwelche pseudolustigen Antworten auf Fragen zum Sinn des Lebens hinausplärren, sondern wollüstig losstöhnen, wenn man ihr Komplimente macht – und zwar mit der leicht heiseren Stimme von Sexbombe Scarlett Johansson. Tja, und genauso ergeht es Joaquin Phoenix in der poetischen Zukunftsvision ‚Her‘ von Spike Jonze, dem Regisseur von verrückten Streifen wie ‚Being John Malkovich‘ oder ‚Adaption‘.
Von Mireilla Zirpins
Oscar-Preisträger Joaquin Phoenix (‚Walk The Line‘), der sich nach dem Film ‚Two Lovers‘ im Jahr 2008 aus dem Filmgeschäft verabschiedet hatte, hat es sich zum Glück noch einmal anders überlegt. Nachdem er vor knapp einem Jahr in dem bizarren Drama ‚The Master‘ erstmals wieder auf der Leinwand zu sehen war, zeigt er sich nun in dem stylishen SciFi-Drama von einer ungewohnt sanften Seite. Phoenix spielt den einsamen Schnauzbartträger Theodore, der im Los Angeles der nahen Zukunft mit hängenden Schultern auf der Suche nach ein bisschen Zuneigung ist. Im Job verfasst er für Kunden zärtliche Liebesbriefe auf Bestellung, privat ist in Liebesdingen tote Hose.
Seine Frau (Rooney Mara, 'Verblendung') hat ihn verlassen und will, dass Theodore endlich die Scheidungspapiere unterschreibt, seine einzige (platonische) Freundin Amy (Amy Adams, auf die wie immer Verlass ist) ist zu sehr mit ihrer festen Beziehung beschäftigt, und bei der Sex-Hotline gerät er an Singles mit recht speziellen Vorlieben (‚würg mich mit dem Schwanz einer toten Katze‘), die das fernmündliche Masturbieren nur für den Zuschauer zu einer belustigenden Veranstaltung machen. Auch das arrangierte Date mit einer gut aussehenden Paarungswilligen (Olivia Wilde, 'Rush – Alles für den Sieg') endet im Desaster.
Sexy Stimme von Scarlett Johansson

Die Installation eines neuen Betriebssystems auf seinen diversen Endgeräten ändert alles: Samantha, wie sich die Frauenstimme aus dem Rechner nennt, wird nämlich tatsächlich gesprochen von Scarlett Johansson, die man nie sieht, aber deren Stimme so sexy ist und ein so breites Gefühlsspektrum transportiert, dass man erstens sofort bereit ist zu glauben, dass die Maschine plötzlich mit Leben erfüllt ist und zweitens zwangsläufig das ansprechende Äußere der Schauspielerin Johansson vor Augen hat. Wie ein Wirbelwind krempelt die gut gelaunte Computerstimme sein Leben um, doch man ahnt, dass diese Art von Beziehung nicht gut gehen kann.
Ein bisschen erinnert die Story an ‚Lars und die Frauen‘, den charmanten Arthouse-Film, in dem Ryan Gosling die wahre Liebe bei einer Gummipuppe aus dem Sexversand gefunden zu haben glaubte. Aber ‚Her‘ ist mehr als nur die Analyse einer bizarren Liebesbeziehung, sondern eine breit angelegte Zukunftsvision, die die Vereinzelung des Individuums in einer durch Cyber-Ablenkungen definierten Gesellschaft durchdekliniert. Im modernen Moloch Los Angeles wirkt alles so clean, dass selbst Sexualität nur noch virtuell und keimfrei zu funktionieren scheint. Eine Melancholie liegt über allem, nicht nur über dem tristen Dasein des Protagonisten. Und so wirkt die kunterbunte und durchgestylte Welt, für die Kameramann Hoyte Van Hoytema (‚The Fighter‘, ‚Dame, König, As, Spion‘) wunderschöne Bilder gefunden hat, immer wie von einem traurigen Nebel überzogen. Ein wunderbar elegisches und poetisches Werk, dem man nur einen einzigen Vorwurf machen kann: Es ist mit 127 Minuten deutlich zu lang geraten für die eher übersichtliche, wenngleich zauberhafte Geschichte, die es erzählt.
Kinostart: 27. März 2014