Die Story kennt doch jedes Kind, denken Sie? Weit gefehlt. Denn Tim Burton lässt bei seiner Disney-Adaption von ‚Alice im Wunderland’ nicht viel von Lewis Carrolls Klassiker übrig. Dafür kann er mit Top-Stars wie Johnny Depp, Helena Bonham Carter und Anne Hathaway aufwarten – und mit quietschbunten 3D-Effekten.
Die schlechte Nachricht vorweg: Humpty Dumpty ist Schnee von gestern, zumindest bei Tim Burton. Denn der Regisseur hat bei seiner Interpretation von Lewis Carrolls Kinderbuch den einen oder anderen alten Bekannten einfach unterschlagen. Alice ist auf einmal auch kein vorlautes kleines Mädchen mehr, sondern eine freche 19-Jährige (gespielt von der Newcomerin Mia Wasikowska) , die vor der Zwangsheirat mit einem nasepopelnden Bubi flieht.
Sie landet nach allerhand Wachstumsschüben und Schrumpfungen im Wunderland, das hier Unterland heißt und ihr aus ihren Träumen verdammt bekannt vorkommt. Dort trifft sie auf genau so schräge Kreaturen wie im Buch – zum Beispiel die Grinsekatze (mit der Stimme von Stephen Fry) oder die Raupe Absolem, der Alan Rickman seine Stimme leiht. Aber Burton lässt die Begegnungen nicht wie einen Gedankenstrom aufeinander folgen, sondern verknüpft Inhalte aus ‚Alice im Wunderland’ und dem Nachfolger ‚Alice hinter den Spiegeln’ zu einer Geschichte mit dramatischem Höhepunkt. Das mag manchem Alice-Nostalgiker die Haare zu Berge stehen lassen, aber immerhin fiebert man nun mit Alice mit. Das ist doch auch schon mal was.
Und die kratzbürstige Herrscherin mit dem übergroßen Kopf will jedem, der aufmuckt gleich den Kopf abschlagen. Zum Glück hat die hässliche Despotin noch eine hübsche und wesentlich nettere Schwester, die ätherische weiße Königin (Anne Hathaway in einer ungewohnten Rolle), die sich auf Alices Seite schlägt…
Burton schafft es wie immer, selbst die schrägsten Figuren mit solcher Natürlichkeit über die Leinwand spazieren zu lassen, dass man sich bald in seiner bombonbunten Zwischenwelt über nichts mehr wundert. Obwohl er erstmals mit 3D experimentiert, beherrscht er das Effektfeuerwerk souverän, ohne die Technik überzustrapazieren. Da kommt einem beim Flamingo-Krockett mal ein Igel fast ins Gesicht geflogen oder man meint, Johnny Depps Hut förmlich auf dem Schoß zu haben. Ein Wermutstropfen für Familien: Für zartbesaitete Kinder ist manche Szene vielleicht zu düster oder zu brutal, daher die Altersfreigabe ab zwölf Jahren.
Erwachsene Zuschauer könnte es stören, dass ausgerechnet Johnny Depp trotz all der Farbe im Gesicht und auf dem Kopf ein bisschen blass bleibt – vielleicht, weil er die Kids nicht erschrecken sollte – und die eigentlich talentierte Mia Wasikowska zwischen all den laut krakeelenden Kreaturen ein wenig untergeht. Nichtsdestotrotz bietet ‚Alice im Wunderland’ spannende Unterhaltung für einen netten Kinoabend – die Burton-Fangemeinde wird sich jedoch darauf verständigen, dass ‚Alice im Wunderland’ nicht an seine besten Werke herankommt.
Von Mireilla Zirpins