Von Mireilla Zirpins
Der Vorverkauf lief nach Angaben des Verleihs schon Wochen vor dem Kinostart von „This Is It“ bombig, doch in der ersten „Kindervorstellung“ am 28. Oktober 2009 um 14 Uhr im Kölner Filmpalast sitzen gerade einmal 20 Leute verstreut über den größten Saal. Ist die Strategie des Studios nicht aufgegangen, nach Michael Jacksons plötzlichem Tod jedes Fitzelchen Bildmaterial von den letzten Bühnenproben des King Of Pop einzukaufen, um „High School Musical“-Regisseur und Jackson-Choreograf Kenny Ortega eine Kino-Doku daraus stricken zu lassen? Alles nur Profitgeierei, um die letzten Stunden einer durch die Medien ausgesaugten, tragischen Figur noch geldbringend zu verwerten? Oder bringt der Film tatsächlich neue Erkenntnisse über den pressescheuen Megastar, der zuletzt weniger durch seine Musik als durch Pädophilieverdacht und schräge Schönheitsoperationen von sich reden machte?
Beides ist der Fall. Die Bildqualität der Aufnahmen von den Bühnenproben lässt oft zu wünschen übrig, wirkt wie mit kleiner Videokamera gefilmtes Amateurmaterial. Umso mehr merkt man, welche Szenen nachträglich produziert wurden, um die 100 Stunden oft wohl eintönigen Materials zu kürzen und dann auf abendfüllende Länge aufzublasen. Denn wenn Jacksons Haupttänzer in den Originalkulissen herumturnen, in denen der Meister selbst vermutlich nie geprobt hat, gibt es auf einmal durchdachte Kameraperspektiven und gestochen scharfe Bilder. Die Probenvideos waren eben eigentlich nicht zur Veröffentlichung gedacht, sondern sollten Michael Jackson und seinem Choreographen Kenny Ortega helfen, an ihrer Show zu feilen, mit denen „Bambi“ 2009 sein großes Comeback feiern wollte. Doch völlig überraschend starb er acht Tage vor dem Auftakt seiner Welttournee. Wie sonst soll man also einen Konzertfilm bestücken, wenn gar kein Konzert stattgefunden hat?
Kenny Ortega erzählt, und das bedauern viele Anhänger Jacksons, in „This Is It“ nicht dessen Lebensgeschichte nach, sondern konzentriert sich ausschließlich auf die geplante Konzertreise. Dabei bietet er zum Auffüllen Backstage-Material von Video-Drehs und kurze Statements der Musiker und Tänzer, die Tränen der Rührung weinen, dass sie mit ihrem Idol arbeiten durften. Und wenn man sieht, wie vorsichtig und freundlich Michael Jackson seine Kritik anbringt („I say it with love“ - auf Deutsch: Ich mein' es lieb). Wenn er mal mit etwas nicht zufrieden ist, dann glaubt man der komplett aus Fans bestehenden Crew, dass sie gern mit ihm gearbeitet hat.
Und das ist der eigentliche Charme von Ortegas ansonsten eher uninspiriert geschnittenem Film, der nicht wirklich eine Story erzählt: Man entdeckt hinter den Kulissen den scheuen Mensch Michael Jackson, der manchmal schlecht hört, aber seine Musik lebt und diese Begeisterung auf andere Menschen übertragen kann. Man sieht, dass seine glanzvolle Bühnenperformance Show ist bis zum letzten Atemzug, auf die Sekunde genau und fast unmenschlich getaktet: Als er der Regieanweisung „Warten auf den Applaus und dann raus“ folgt, wartet er mit fast zur Maske erstarrtem Gesicht auf die fiktiven Klatscher. Bei „raus“ geht ein überglückliches Lächeln über sein Gesicht – und ein Raunen durch den Kinosaal. Man hat einmal das Gefühl, für eine Sekunde in die Seele dieses großen Kindes geschaut zu haben, und das dürfte manchem Jackson-Fan das Eintrittsgeld schon wert sein.
Darüber hinaus bekommt Jacksons Fangemeinde in wackligen Bildern sämtliche Hits der Musiklegende geboten - und eine Vorstellung davon, wie die neue Choreographie für „Thriller“ auf der Bühne ausgesehen hätte und mit welchen Videos der besessene Musiker und Tänzer seine Show zu illustrieren gedachte. Manches mutet seltsam an, wie etwa sein Eso-Clip zum „Earth Song“, wunderschön hingegen ist die Montage, in der Jackson und Ortega mit alten Filmklassikern in Schwarz/Weiß spielen und Jacko nach Gildas legendärem Strip ihren Handschuh fängt.
Solche hübschen Ideen hätte man sich für den Film auch wünschen können, aber Ortega zeigt lediglich den Michael auf und hinter der Bühne, der auch schon mal mit Brille ein Tänzer-Casting verfolgt und zeigt, dass er trotz seines jugendlich operierten Äußeren eben ein Mann von 50 war. Böse Zungen hatten im Vorfeld behauptet, Jackson tanze in einigen Szenen nicht selbst, denn so fit, wie ihn der Film zeigt, sei er gar nicht gewesen.
Die wenigen hochauflösenden Szenen sprechen eine andere Sprache, zeigen einen Mann, der aus dem Stand heraus in eine Choreographie hineinspringt und sofort auf 100 ist, einen Mann, dessen Dance Moves immer akkurat wirken und der eher seine Stimme als seinen Körper schonen muss. Vielleicht wirkt er im Gegenteil zu fit und zu aufgekratzt, vielleicht könnte das ein Effekt der zahlreichen Medikamente sein, die er vor seinem Tod verabreicht bekam. Andererseits fällt auf, dass sämtliche Szenen immer mindestens aus drei verschiedenen Proben zusammen geschnitten sind, wie man an den wechselnden Kostümen unschwer erkennt. Auch ist der Sound manchmal fast zu gut für Übungssessions. Da wird man das Gefühl nicht los, dass verdammt wenig schief geht dafür, dass es sich um Rehearsals handelt. Sollte Jackson auf der Bühne Schwäche gezeigt haben, hätten wohl weder seine Familie noch das Studio Interesse daran, das zu veröffentlichen.
In den anderen Szenen kann man Jackos Gesicht zum Teil aufgrund der verwaschenen Bilder nicht genau erkennen – aber würde der Regisseur so was als Fake anbieten? Wie dem auch sei: Nicht nur für Fans bietet der Film interessante Einsichten – und im Abspann Jacksons letzten Song „This It It“. Und den singt er selbst. Allerdings kann man sich die Doku aufgrund der Bildqualität getrost auf DVD ansehen, wenn man nicht auf das gemeinsame Fan-Feeling im Kino scharf ist.