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'Helen': Geht unter die Haut

Der Film porträtiert das Leid eines depressiven Menschen

'Helen': Geht unter die Haut

Der Freitod von Nationaltorwart Robert Enke hat ein Thema in die Öffentlichkeit gerückt, über das bislang zu wenig gesprochen wurde: Geschätzte vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an Depressionen. Nun kommt ein Film in die Kinos, der dieses Tabu-Thema sowie das Leiden der Betroffenen und ihrer Familien schonungslos und bewegend portraitiert: 'Helen'.

Der deutschen Erfolgsregisseurin Sandra Nettelbeck ('Bella Martha') lag das Projekt schon lange am Herzen: 1995 nahm sich eine Jugendfreundin nach langem Kampf gegen die Depression das Leben. Auch in 'Helen' verliert eine Frau, die alles zu haben scheint, langsam den Boden unter den Füßen. Dabei führt Titelfigur Helen (Ashley Judd) ein Bilderbuchleben: Sie lehrt als Professorin an der Musikhochschule, wird von Ehemann David (Goran Visnjic) vergöttert und muss sich keine Sorgen um die wohlgeratene Tochter Julie (Alexia Fast) machen.

Ein Film für schwache Gemüter ist 'Helen' nicht

'Helen': Geht unter die Haut

Doch Helen hat ein Geheimnis, von dem David nichts ahnt: Ihre erste Ehe scheiterte, weil sie nach Julies Geburt an schweren Depressionen litt. Sie glaubte die Krankheit überwunden - doch nun legt sich die Depression erneut wie ein Schatten auf Helens Seele. Schleichend verliert sie die Freude an allem, was sie einst glücklich machte und versucht schließlich, sich das Leben zu nehmen. In der Psychiatrie trifft Helen auf die faszinierende Mathilda (Lauren Lee Smith). Sie ist Cello-Studentin an Helens Fakultät - und manisch-depressiv. Mathilda ist die Einzige, die noch Zugang zu Helen findet, sehr zum Verdruss des rationalen David, der nicht glaubt, dass die impulsive Studentin ein Rückhalt für seine Frau sein könnte.

Hier liegt auch die Stärke von 'Helen'. Wer die bewegende Ansprache von Teresa Enke am Tag nach dem Tod ihres Mannes gesehen hat, der ahnt, was eine Depression für eine Beziehung bedeutet. Nicht jeder Partner kann genug Kraft und Verständnis für den Erkrankten aufbringen. Auch David begreift lange nicht, dass Helen nicht unglücklich, sondern ernsthaft erkrankt ist, und dass eine Depression nicht mit guten Vorsätzen zu überwinden ist.

Ebenso schwierig ist die Situation für Julie: Einst war Helen der Halt für ihre Familie, nun muss die Tochter hilf- und verständnislos zusehen, wie ihre früher so liebevolle Mutter das Interesse an ihrem Kind verliert. Helens einzige Bezugsperson ist Mathilda, bei der sie schließlich sogar einzieht. In ihren starken Phasen kann die Studentin ihrer Lehrerin neuen Lebensmut vermitteln - doch wer hilft Mathilda, wenn es ihr nicht gut geht?

Im Zusammenspiel dieser beiden Protagonistinnen entfaltet ’Helen’ seine ganze Stärke. Ashley Judd brilliert als Frau, die verzweifelt darum ringt, wieder Halt im Leben zu finden - wohl auch aus eigener Erfahrung, denn die Schauspielerin kämpfte lange selbst gegen Depressionen. Ebenso eindringlich und verstörend portraitiert Lauren Lee Smith die manisch-depressive Mathilda, eine Leistung, die durchaus an Angelina Jolies oscargekrönte Rolle in 'Durchgeknallt' heran reicht. Gegen diese beiden starken Charaktere wirken die Nebenfiguren leider etwas blass.

Doch das bleibt schon der einzige Kritikpunkt an 'Helen'. Musik und Kamera sind in diesem sensiblen Drama sehr stimmig: Um die innere Leere ihrer Titelfigur zu verdeutlichen, wählt Nettelbeck Bilder der Einsamkeit, die unter die Haut gehen. Sie zeichnet nichts weich, sondern stellt die verschiedenen Phasen einer klinischen Depression schonungslos und präzise dar.

Ein Film für schwache Gemüter ist 'Helen' also nicht. Wer im Kino nur gut unterhalten werden will, ist hier falsch. Doch wen die Rede Teresa Enkes berührt hat, den wird auch 'Helen' nicht kalt lassen. Denn trotz der schwierigen Thematik bleibt die Regisseurin jederzeit einfühlsam, der Film bewegt mit seiner Einsicht in die psychische Hölle, die eine Depression für Betroffene, aber auch für deren Familien darstellt. So könnte 'Helen' gerade angesichts der Aktualität des Themas einen wichtigen Beitrag zur weiteren Aufklärung über die Krankheit leisten - und über Wege, sie zu bewältigen. Dieses kleine Meisterwerk hat ein großes Publikum verdient.

Von Barbara Frank

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