Emma Thompson gegen den Magerwahn: "Wiedersehen mit Brideshead"
Von Sebastian Schmidt
Das aufsehenerregendste an diesem Kostümfilm war vor allem der Kampf, den Emma Thompson im Vorfeld mit den Produzenten führte. Hatten die doch von der 25-jährigen Haley Atwell, die im Film die schöne Julia spielt, verlangt, sie möge für die Rolle abspecken. Also ließ die Jungschauspielerin (zuletzt in “Cassandras Traum“ von Woody Allen zu sehen) brav alles liegen, was dick macht - auch als sie bei Emma Thompson zum Essen eingeladen war. Die emanzipierte Gastgeberin Thompson schäumte vor Wut, griff gleich zum Telefon und hustete den Herren was. Und hat seither viel Spaß dabei, auszuposaunen, dass sie selbst für ihre Rolle des streng gläubigen Familienoberhaupts Lady Marchmain ordentlich zugelegt hat: “Ich kann doch keine vierfache Mutter spielen und dabei Größe 36 tragen“, findet Thompson. “Im Kino sieht man viel zu selten normale Frauen.“
Im Film geht’s nicht ganz so zünftig zur Sache, doch auch da kann Oscar-Gewinnerin Emma Thompson eine Frau spielen, die Haare auf den Zähnen hat. Denn als Matriarchin eines frommen Adelsclans hat sie alle Hände voll zu tun, ihre Familie vor einer Tragödie zu bewahren: Ein verführerischer Student aus dem Bürgertum, der dazu auch noch Atheist ist, beginnt eine Dreiecksgeschichte mit ihrem Sohn und ihrer Tochter - eine Mischung mit reichlich Zündstoff für ein anspruchsvolles Drama. Der Roman “Wiedersehen mit Brideshead“ des englischen Schriftstellers Evelyn Waugh sorgte bei seinem Erscheinen 1945 für große Aufregung. Über 60 Jahre später bringt Regisseur Julian Jarrold den melancholischen und zum Teil düsteren Film jetzt auf die Leinwand.
Der Bürgerliche Charles Ryder (gespielt von Matthew Goode) lernt auf der Oxford Universität Sebastian Flyte (Ben Wishaw) den Sohn der namhaften Adelsfamilie Marchmain kennen. Der egozentrische Sebastian verliebt sich prompt in den smarten Charles und lädt ihn den Sommer über nach Brideshead, dem Anwesen seiner Familie, ein. Die pompöse Welt der Marchmains voller Reichtum und Glamour fasziniert Charles ebenso wie Sebastians schöne Schwester Julia (Hayley Atwell). Sehr zum Missfallen ihrer dominanten Mutter Lady Marshmain. Die Zuneigung ihrer Kinder zu dem ungläubigen Jungen aus einfachen Verhältnissen ist ihr ein Dorn im Auge.
Zur Explosion der aufgeladenen Liebesgeschichte zwischen Sebastian, Charles und Julia kommt es bei einem Ausflug nach Venedig. Während eines Straßenfestes küssen sich Julia und Charles das erste Mal, und ihre Gefühle werden offensichtlich - auch für Sebastian, der seine Schwester mit seiner großen Liebe beobachtet. Zurück in England flieht sich Sebastian vor Eifersucht und Wut in den Alkohol. Die Beziehung zwischen Charles und Julia findet derweil ein jähes Ende. Grund dafür ist Lady Marshmain, die Charles für weder gesellschaftlich noch religiös tragbar hält. Daher verkündet sie Julias Verlobung mit dem kanadischen Geschäftsmann Rex Mottram (Jonathan Cake).
Von einem Liebesfilm ist “Wiedersehen mit Brideshead“ so weit entfernt wie Lady Marchmains Frömmelei vom Atheismus: Die unglückliche Love Story zwischen Julia und Charles steht leider weitgehend im Hintergrund. Stattdessen setzt Jarrold den Fokus auf religiöse und gesellschaftliche Konflikte.
Für anspruchsvolle Kinobesucher, die sich für Zeitgeschichte interessieren und eine geniale Emma Thompson als gottbesessene Aristokratin sehen wollen, ist der Film ein Muss. Auf Zuschauer, denen das nichts gibt, wirkt der Film jedoch teilweise langatmig und vorhersehbar. Sei es Sebastians Homosexualität, Charles und Julias Liebe oder die Tatsache, dass das Ganze kein gutes Ende nehmen wird. Immerhin ist durch die hervorragende Besetzung und die melancholische Grundstimmung die Dramatik des Films von Anfang bis zum Ende zu spüren. Für einen grauen Herbstabend ist das nicht die schlechteste Wahl.