'Elle': Darum hat uns der Vergewaltigungs-Thriller so verstört

Isabelle Huppert hätte für ihre Leistung in 'Elle' einen Oscar verdient

Eiskalt, verführerisch und wunderbar ironisch gibt Isabelle Huppert in Paul Verhoevens bitterbösem Thriller ‚Elle‘ eine Frau, die vergewaltigt wurde, aber keinesfalls ein Opfer sein will. Dafür wurde die Französin zu Recht für einen Oscar nominiert.

Filmszene aus 'Elle': Michèle (Isabelle Huppert) ist nicht zimperlich
Filmszene aus 'Elle': Michèle (Isabelle Huppert) ist nicht zimperlich © MFA Film Distribution

Von Mireilla Zirpins

Ein Film, nach dem man als Frau auf gar keinen Fall allein den Heimweg antreten will: Schon in der Eröffnungssequenz verschlägt es einem schier den Atem: Protagonistin Michèle (Isabelle Huppert) will ihr putziges Kätzchen füttern, da springt durch das geöffnete Fenster aus dem abendlichen Garten eine schwarz maskierte Gestalt auf sie und vergeht sich an ihr.

Während man als Zuschauer reichlich Mühe hat, diesen Schockmoment zu verarbeiten, reagiert die vergewaltigte Michèle geradezu gefasst. Sie lässt ihre Wunden in einem Vollbad ausbluten und empfängt ihren Sohn zum Sushi vom Lieferservice. Am nächsten Tag geht sie nicht etwa zur Polizei, sondern zum Waffenkauf. Was für ein Auftakt!

Erst nach und nach lernen wir auf diese Weise unsere Protagonistin kennen, die sich ganz klar weigert, ein Opfer zu sein. Beim Abendessen im Freundeskreis berichtet sie mit stoischer Mine von der Vergewaltigung und macht sich auf die Suche nach dem Täter. Und da kommen einige in Frage: Ihr Ex-Mann (Charles Berling) ist ganz klar kein feiner Kerl, ihr Lover (Christian Berkel) ist stark triebgesteuert und dazu mit Michèles bester Freundin verheiratet, ihr Nachbar (Laurent Lafitte) ganz schön aufdringlich. Und die Jungs in Michèles Computerspiel-Firma hassen allesamt ihre herrische Chefin, es kursiert sogar ein ComicVideo, in dem sie Teil einer Vergewaltigungsphantasie ist. Und wer denkt, dass Michèle einfach nur Rache sucht, hat sie ganz klar unterschätzt.

Kaum zu glauben, dass Isabelle Huppert schon 63 ist. In ‚Elle‘ wirkt die drahtige und dennoch weibliche Schauspielerin wie Mitte/Ende 40. Es ist großartig, wie minimalistisch und ironisch Isabelle Huppert ihre Figur anlegt und damit in der angespannt-düsteren Atmosphäre des Thrillers sogar noch für amüsante Momente sorgt. Sie verzieht scheinbar kaum eine Miene und sagt doch so viel mit ihrem Gesicht und ihrer Körperspannung. Völlig zu Recht wurde sie dafür für einen Oscar nominiert. Gut möglich, dass sie ihn trotzdem nicht bekommt, sondern eine Kollegin in einer gefälligeren Rolle.

Dieser Film wird einen noch lange beschäftigen

Denn zahlreichen US-Aktricen war diese Michèle viel zu gewagt. Paul Verhoeven wollte seine Verfilmung von Philippe Djians Roman 'Oh' eigentlich in den USA spielen lassen, aber bei so viel Nacktheit und sexueller Eindeutigkeit sagten ihm die Damen reihenweise ab. Isabelle Huppert hingegen hatte schon in Skandal-Dramen wie 'Die Klavierspielerin' bewiesen, dass sie vor provokanter Sexualität nicht zurückschreckt und hatte Interesse an dem Part. So wurde für sie die Handlung wieder nach Frankreich verlegt, Verhoeven ließ ihr freie Hand bei der Ausgestaltung des Parts. Ein Glücksgriff, denn Isabelle Hupperts ambivalente Darstellung trägt den Film über weite Strecken und auch über einige weniger glaubwürdige Wendungen hinweg. Dazu gelingt Verhoeven ein satirisches Porträt der französischen Bourgeoisie.

Das hätten viele dem 'Robocop'- und 'Basic Instinct'-Regisseur, der nach seinem Flop 'Showgirls' nicht wieder an seine alten Erfolge anknüpfen konnte, gar nicht zugetraut. 'Elle' ist atmosphärisch, dicht, erstaunlich vielschichtig und dazu strukturell interessant. Immer wieder muss der Zuschauer mit Michèle ihre Misshandlung durchleben, immer wieder erscheint der Gewaltakt in einem anderen Licht.

Man kann über die Darstellung sexualisierter Gewalt in 'Elle' trefflich streiten oder darüber, ob ein Vergewaltigungs-Film komödiantische Elemente enthalten sollte, doch anders als der Titel auf den ersten Blick vermuten lässt, will Verhoeven keine Aussagen über ein ganzes Geschlecht treffen: Schließlich steht das französische 'Elle' – 'sie' – hier im Singular. Und die wirklich singuläre Geschichte von Michèle entfaltet bei Verhoeven einen Sog, der jeden Zuschauer in seinen Bann zieht, am Ende garantiert verstört zurücklässt und noch lange beschäftigt.

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