Elementarteilchen - Kinostart: 23.2.2006

Endlich mal ein deutscher Beitrag im Berlinale-Wettbewerb, der mit genauso viel Spannung erwartet wurde wie das Erscheinen George Clooneys auf dem Roten Teppich.
© Constantin Film

Kein Wunder, denn „Elementarteilchen“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Skandal-Bestsellers des Franzosen Michel Houellebecq. Der Roman um ein ungleiches Halbbrüderpaar geizt nicht mit freizügigen Schilderungen von Gruppensexorgien und war vermutlich auch deswegen in Deutschland ein Renner.
© Constantin Film

Da hat Bernd Eichinger („Der Untergang“), der es bestens versteht, sich als Produzent an seinen Regisseuren vorbei in den Vordergrund zu drängen, gleich gewittert, dass man mit der Leinwandadaption dieses Literaturpornos Geld machen kann.
© Constantin Film

Sein Staraufgebot von Franka Potente bis Moritz Bleibtreu liest sich wie das Who-is-Who des aktuellen deutschen Films und sorgte durch die Präsenz der Schauspieler natürlich auch für entsprechenden Glamour bei der Berlinale.

Das Drehbuchschreiben und die Regie übernahm Oskar Roehler, an dessen schrägen Stoffen wie „Suck My Dick“ oder „Agnes und seine Brüder“ sich in den vergangenen Jahren die Geister schieden. Doch leider hat es Roehler und Eichinger bei der Verfilmung des sperrigen Romans an Mut gefehlt.
© Constantin Film

Zu jung und attraktiv ist mit Moritz Bleibtreu das enfant terrible unter den beiden Protagonisten besetzt. Im Buch ist Bruno, der ältere der beiden Brüder, ein exhibitionistisch veranlagter alternder Sack, der seit seiner Jugend nicht aufgehört hat, halbwüchsigen Mädchen nachzustellen, aber aufgrund seines abstoßenden Äußeren nie wirklich erfolgreich dabei war.
© Constantin Film

Diese gestörte Sexualität greift der Film, der die Handlung von Frankreich nach Deutschland verlegt, zwar auf und zeigt Bruno, wie er auf das Foto einer Schülerin onaniert, dabei deren Aufsatz mit Sperma befleckt und sich dem Mädchen nach dem Unterricht dann noch unsittlich nähert, doch empfindet man fast schon Mitleid mit dem wie immer sympathischen Bleibtreu.
© Constantin Film

An seinem darstellerischen Vermögen liegt's nicht. Er gibt sich alle Mühe, den kaputten Typen vielschichtig zu verkörpern. Seine Demütigung und sein daraus resultierender Hass und Rassismus stehen Bleibtreu in die Augen geschrieben. Und doch ist er einfach zu hübsch für diese Figur.
© Z.Tomaszewski / WENN

Christian Ulmen ist ebenfalls zu jung für seine Rolle und dazu noch reichlich farblos als Michael, der sexuell mindestens genau so orientierungslos ist wie sein Halbbruder Bruno. Was der an Sexualtrieb zuviel mit sich herumträgt, fehlt bei Michael, der seine mangelnde Libido durch wissenschaftliche Erfolge kompensiert. Als Forscher vertritt er die Theorie, dass Geschlechtsverkehr in naher Zukunft obsolet wird, weil die Menschen sich durch Klonen vermehren können, und lebt seine Vision von der Sexlosigkeit selbst schon mal vor.
© Constantin Film

Die Entwicklung dieser deprimierenden Zukunftsphilosophie, die in Houellebecqs Roman eine zentrale Rolle spielt, wird im Film auf ein Eingangstatement reduziert. Das macht die Figur ein wenig flach, was noch verstärkt wird durch das einfallslose Spiel Christian Ulmens.
© Constantin Film

So konzentriert sich die Kinofassung ganz auf die sexuellen Abenteuer der beiden Jungs. Bruno flüchtet in ein Nudistencamp, wo er ein paar frustrierte Singles zu vögeln hofft, bei den Esotussis aber zunächst ordentlich abblitzt. Während er schließlich mit der aufgeschlossenen Christiane (würdevoll und wunderbar nuanciert: Martina Gedeck) in Swingerclubs zu neuen sexuellen Ufern aufbricht, lässt sich Michael von seiner Jugendliebe Annabelle (die ein wenig unscheinbare Franka Potente) entjungfern.
© Constantin Film

Beide Frauen sind desillusioniert von gescheiterten Beziehungen und frustriert vom beinharten Konkurrenzkampf auf einem Heiratsmarkt, bei dem es anders als bei den Männern ein körperliches Verfallsdatum gibt, jenseits dessen viele houellebecqsche Protagonistinnen ihr Dasein nicht mehr als lebenswert erachten.
© Constantin Film

Diese frauenfeindliche Weltsicht, die der Franzose in allen seinen Schreiberzeugnissen vertritt, übernimmt der Film, ohne aber so konsequent wie der Romanautor die Mechanismen des sexuellen Leistungsdrucks aufzuzeigen, die als Überbleibsel der 1968er-Revolution die Gesellschaft bestimmt. Nur in einer Szene, in der Nina Hoss als Post-Hippie-Rabenmutter ihre pubertierenden Kinder mit ihrer offenen Einstellung gegenüber deren aufkeimender Sexualität beschämt, scheint durch, was die Jungs zu solch triebgestörten Wesen werden ließ.
© Constantin Film

Bei den Sexszenen nämlich ist die Verfilmung erstaunlich prüde und im Gegensatz zu Houellebecqs Ausführungen vor allem eins: unerotisch. Martina Gedeck darf ein paar Mal in Lackhotpants und BH durchs Bild laufen, im Nudistencamp hüpfen naturgemäß ein paar Unbekleidete herum, und am Ende gibt's eine harmlose Szene im Swingerclub. Darüber freute sich vermutlich allein Moritz Bleibtreu, der bei der Pressekonferenz bekannte: „Ich gehöre nicht zu den Schauspielern, denen es Spaß macht, so nackt übers Set zu trampeln.“
© Constantin Film

So hat Roehlers Film zwar durchaus seine Momente und Lacher, doch kommt weitgehend Langeweile auf. Die Ästhetik der Bilder ist nett, die Supermarktmusik im Hintergrund eher nicht. Die Darsteller der Protagonisten in ihren Jugendjahren leiern allesamt ihre Dialoge emotionslos herunter. Oft fehlt das Tempo, für eine Komödie mangelt es an Humor, für ein Drama an Emotionen und Identifikationsmöglichkeiten, und als Sozialsatire taugt „Elementarteilchen“ schon gar nicht, weil man Houellebecqs Roman seines gesellschaftskritischen Überbaus weitgehend beraubt hat.
© Constantin Film

Und das lag erklärtermaßen in der Absicht der Macher. „Gesellschaftskritik ist nicht verfilmbar. Was verfilmbar ist, sind Melodramen“, versucht der Produzent ganz schön selbstgefällig den bei der Pressekonferenz anwesenden Film- und Literaturwissenschaftlern ihr Metier zu erklären, um dann im nächsten Atemzug zuzugeben, dass er den Romanautor im Leben noch nicht getroffen hat und dieser damit weder den Film noch die drastischen Änderungen an seinem Stoff kennt. „Wir haben gar nichts mit ihm abgestimmt, weil er meistens auch gar nicht aufzufinden war“, sagt Eichinger fast patzig.

Nun ist Michel Houellebecq sicherlich ein schwieriger und menschenscheuer Kauz, der sich vermutlich nicht weiter mit dem deutschen Produktionsteam herumschlagen wollte. Doch kann man sich kaum vorstellen, dass ihm die Eingriffe in die Story schmecken werden, die Roehler und Eichinger sich da geleistet haben.
© Constantin Film

Solche Bedenken versteht der Produzent nicht: „Man muss es erst verändern, um es wieder zu demselben zu machen“, philosophiert er munter herum. Aber genau das ist ihm nicht gelungen. So haben ihm, genau wie seiner Hauptdarstellerin Martina Gedeck, die „schönen Liebesgeschichten“ im Roman so gut gefallen.
© Constantin Film

Doch waren sich die meisten Literaturkritiker einig, dass Houellebecq gerade die Unmöglichkeit von Liebe und das Scheitern einer nur noch auf sexuellen Wettbewerb fixierten Gesellschaft heraufbeschwört.
© Constantin Film

Wenn Roehler davor scheute, Figuren sterben zu lassen und zudem explizit erklärt, er und Eichinger hätten die Moral und die defätistische Zukunftsvision Houellebecqs gar nicht übernehmen wollen, muss man sich fragen, warum der Mann dann dieses Buch überhaupt verfilmen wollte. Wenn man die Moral weglässt, bleibt kaum mehr übrig als ein bisschen Gerammel, das ohne die kritischen Untertöne reine Pornographie wäre.
© Constantin Film

Da die Macher hiervor scheuten, bleibt nicht viel mehr als tote Hose im Swingerclub mit zwei gut aufgelegten Hauptdarstellern (Gedeck und Bleibtreu). Das aber dürfte weder die Fans des Autors noch seine ebenso zahlreichen Feinde zufrieden stellen, und am allerwenigsten Houellebecq selbst, der keine Gelegenheit auslässt zu polarisieren.
Mireilla Häuser
© Constantin Film
01 21
