Die neue Lust am Ekligen

Schlechte Zeiten für empfindliche Mägen: Fast jede Woche startet ein Horrorfilm im Kino, und die jüngsten Ableger des Genres sparen nicht an grausigen Details. Trotz der Altersbeschränkung lässt sich jedoch an der Kinokasse mit Splatter richtig Umsatz machen. Und weil sie allesamt so erfolgreich sind, gehen diese grausamen Filme nun in die zweite und dritte Runde. Wer will noch eine Fortsetzung von Eli Roths Folter-Orgie "Hostel" sehen, woher kommt das Interesse am Schlachthof-Voyeurismus?
© Filmszenen Hostel 2 / Sony

Im März 2006 startete das Remake von Wes Cravens Genreklassiker “Hügel der blutigen Augen”, der hierzulande erfolgreicher lief als etwa "Basic Instinct 2". Wer glaubt, dass der Titel der Neuauflage, “The Hills Have Eyes”, harmloser klingt als das Original, hat sich geschnitten. Alexandre Ajas hält sich zwar eng an die Vorlage, geizt aber noch weniger mit blutigen Details. Zack Snyder hat es mit seinem Remake von George A. Romeros „Dawn Of The Dead“ vorgemacht.
© Filmszene Dawn Of The Dead / UIP

Im Mutanten-Schocker „The Hills Have Eyes“ kommt eine US-amerikanische Durchschnittsfamilie vom rechten Weg ab und landet in einem atomar verseuchten Gebiet, dessen Bewohner zu blutrünstigen Bestien mutiert sind und den Familienmitgliedern mit allen Mitteln der Schlächterkunst den Garaus machen. Der 27-jährige Regisseur aus Frankreich, der sich schon bei seinem Debüt, der Terrorvision „High Tension“, wenig zimperlich gab, bekennt sich offen zu seiner Inspirationsquelle, den Zombie-Filmen eines George A. Romero oder Wes Cravens „Das letzte Haus links“ aus den 70er Jahren, als erstmals eine Welle der Gewalt durch die Kinos schwappte.
© Filmszene The Hills Have Eyes / 20th Century Fox

Seit den 80er Jahren jedoch wurden allzu brutale Details von der Leinwand verbannt. Nun kommt es zu einem regelrechten Revival des Ekligen, bei dem auch mit gewissen Tabus gebrochen wird. Dass "The Hills Have Eyes 2" nicht annähernd so gut abräumte wie der erste Teil, liegt nach Meinung von "Hostel"-Macher Eli Roth vor allem daran, dass hier ein anderer Regisseur die Fortsetzung verhunzte, anstatt dem Konzept treu zu bleiben. Deshalb ist Roth auch noch stolz darauf, nach dem Erfolg von "Hostel" keinen gefälligen Big-Budget-Blockbuster gedreht zu haben, sondern konsequenterweise die Fortsetzung seines eigenen Folterspektakels. Der Mann meint es ernst.
© Filmszene The Hills Have Eyes / 20th Century Fox

So war Roths Folter-Schocker „Hostel“, der im Herbst 2005 überraschend zum Kinohit avancierte und allein in den USA das Zehnfache seiner bescheidenen 4,5 Millionen Dollar Produktionskosten einspielte, schon weitaus erfolgreicher als die erste Folge von "The Hills Have Eyes". Und das dürfte nicht nur daran gelegen haben, dass Kultregisseur Quentin Tarantino gönnerhaft den zweiten Spielfilm des Newcomers Eli Roth präsentiert und seinen Schützling als „Zukunft des Horrors“ preist.
© Filmszene Hostel / Sony Pictures

Offenbar trifft der ungeschminkte Splatter aus dem Folterkeller genau den Nerv eines größeren Publikums. Dabei ist die Story denkbar platt: Drei paarungswütige Kiffer reisen nach Bratislava, wo eine geheimnisvolle Herberge willige Silikonschönheiten verspricht. Doch die Ost-Beautys locken die Jungs in einen Folterkeller, aus dem natürlich nur einer wieder lebend herauskommt.
© Filmszene Hostel / Sony Pictures

Vorher muss der arme Zuschauer ganz schön was mitmachen. Da werden Bohrmaschinen und Kettensägen im Fleisch der markerschütternd kreischenden Protagonisten versenkt, die eine oder andere Kehle aufgeschlitzt, eine Achillesferse durchtrennt und ein Auge wenig fachgerecht entfernt.
© Filmszene Hostel / Sony Pictures

Dass die Motivation der Folterknechte bei dieser sadistischen Orgie nicht erkennbar ist und überhaupt die Logik auf der Strecke bleibt, wird der eine oder andere Zuschauer gar nicht bemerken, weil er zu sehr damit beschäftigt ist, sich Ohren und Augen gleichzeitig zuzuhalten. Solche Ekel-Reaktionen erfüllen Jungregisseur Roth höchstens mit Stolz: „Beim ersten Screening von ,Hostel' hatten wir zwei Ohnmachtsanfälle und einen Typen, der sich in der Lobby übergeben hat. Solche Reaktionen sind für mich besser als Standing Ovations, denn sie zeigen, dass mein Film die Leute tatsächlich in Panik versetzt.“
© Filmszene Hostel / Sony Pictures

Weil’s so schön eklig war, kommt nun der zweite Teil in die Kinos. Nur werden in der altbekannten Location diesmal statt der drei unattraktiven Jungs in Outdoorklamotten jetzt leichtbekleidete und leicht unterbelichtete Mädchen gemeuchelt. Eli Roth, der stolz ist, wieder auf dem Regiestuhl Platz genommen zu haben, hat immerhin seit dem letzten Mal dazu gelernt und präsentiert einen optisch und dramaturgisch ausgereifteren Horrorstreifen, der zudem mit dem Vorgänger verzahnt ist, ohne jedoch das Vorbild "Kill Bill" je annähernd zu erreichen.
© Filmszene Hostel 2 / Sony Pictures

Immerhin lernt man nun auch die andere Seite, die der Täter kennen, und sieht, wie komplexgeplagte US-Durchschnitsstypen sich im Internet für einen fünfstelligen Dollar-Betrag "White Girls" ersteigern, um an denen all das abzureagieren, was ihnen ihre Ehegattinnen angetan haben. Ist das nicht als Erklärung für Gewaltphantasien ein bisschen billig? Immerhin ist unter seinen Tätern auch eine Frau, auch wenn er sonst das Geschlechterverhältnis umdreht und diesmal die Damen zu Opfern macht. Das Ärgerliche dabei: die weibliche Beute wird natürlich wesentlich pornographischer dargestellt als das männliche Schlachtvieh in Teil 1, das wenigstens vollständig bekleidet vom Fleischerhaken hing. Dafür rächt sich eine der Ladies durch eine fachgerechte Entmannung, die der empörte Zuschauer dem Peiniger von Herzen gönnt, wenn er sich traut hinzusehen.
© Filmszene Hostel 2 / Sony Pictures

Sind solche Filme für Jugendliche, die einen guten Teil der Kernzielgruppe ausmachen, überhaupt geeignet? Man darf sich fragen, welche Filme noch auf dem Index landen, wenn schon ein Ekel-Movie wie „Creep“ mit Franka Potente, bei dem der Verleih sich vor Protesten angewiderter Zuschauer kaum retten konnte, ab 16 Jahren freigeben wird? War früher die FSK 18 fast ein Todesurteil für einen Thriller, brüsten sich die Filmemacher heute geradezu damit, die Jugendfreigabe verweigert bekommen zu haben und sehen es gar nicht ein, eine harmlose Variante für 16-Jährige oder Kinder ab 12 zusammenzuschneiden. Das Einspielergebnis gibt ihnen aus Verleiher-Sicht Recht. So sind "Hostel" und "Hostel 2" in Deutschland nur für Menschen jenseits der Volljährigkeitsgrenze zu sehen, und die Macher haben gleich darauf verzichtet, überhaupt eine Altersfreigabe zu beantragen. Dem Erfolg des Films tat das keinen Abbruch, auch wenn er nicht so durchstartete wie in den USA. Generell machen Splatter-Filme heute einen guten Teil ihres Umsatzes erst in der DVD-Auswertung, und zwar mit einer „uncut“-Version, die noch haarsträubendere Szenen für die Zuschauer bereithält.
© Filmszene Creep / X-Verleih

Nicht auf die Leinwand gelangen wird der Menschenfresser-Film „Rohtenburg“, auf den Boulevard-Medien schon lange vor dem geplanten Verleihstart neugierig machten. Dass die Verfilmung der Lebensgeschichte des Armin Meiwes, der als „Kannibale von Rotenburg“ Schlagzeilen machte, per Gerichtsbeschluss gestoppt wurde, liegt nicht an den ekelhaften Folterszenen, sondern allein daran, dass die Richter die Persönlichkeitsrechte von Meiwes nicht gewahrt sahen. Der hatte den Machern die Rechte an seiner Geschichte nämlich nicht eingeräumt. Ein Verlust ist es nicht, dass der Film dem Publikum vorenthalten wird, scheiterte die Kombination aus pseudopsychologischer Erklärung für Triebverhalten mit handwerklich miserabel ausgeführten Horrorelementen doch auf der ganzen Linie.
© Filmszene Rohtenburg / Senator

Dafür kam Anfang 2007 der Thriller „Young Hannibal“ in die Kinos. Peter Webber erzählt darin, wie Dr. Lecter, der in „Hannibal“ auf so widerwärtige Weise das Hirn eines Gegenspielers verspeiste, dabei zusehen musste, wie seine Schwester gefressen wurde und durch dieses frühkindliche Trauma selbst zum Kannibalen wurde. Ehrensache, dass er sich an den Peinigern des Schwesterchens genauso grausam rächt. Denn in den neuen Schockern wird Gleiches mit Gleichem vergolten: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Mit 50 Millionen US-Dollar Budget ist der Film aber für das Genre schon eine Luxusproduktion.
© Filmszene Hannibal / Tobis

Die neuen Horrorfilme sind fast allesamt billig produziert und ihre Macher blutjung. Für gerade einmal 1,5 Millionen Dollar drehte der 1977 geborene Australier James Wan im Jahr 2004 seine Folterphantasie „Saw“. Die Ausgangssituation des kompromisslosen Low-Budget-Horrors: Zwei Männer erwachen angekettet in einer versifften Toilette, zwischen ihnen eine Leiche. Der dritte im Bunde: Ein sadistischer Killer, der ein perfides Spiel mit den beiden treibt. Denn um ihr Verlies verlassen zu können, müssen sie sich den eigenen Fuß aus den Ketten sägen.
© Filmszene Saw / Kinowelt

Auch der australische Horrortrip durch Down Under, "Wolf Creek" wurde für eine Handvoll Dollar (realistische Schätzung: eine knappe Million) produziert und avancierte zum Festivalliebling in Sundance. Die schlichte Story um drei Backpacker, die nach einer Panne einem psychopathischen Busch-Rancher zum Opfer fallen, zeigt ebenfalls die blutigen Praktiken eines Folter-Fetischisten, der sich über junge Urlauber hermacht.
© Filmszene Wolf Creek

Eli Roth hat nach dem Erfolg von "Hostel" bewusst darauf verzichtet, die Fortsetzung mit Riesenbudget zu drehen. Der erste Film kostete 3,8 Millionen US-Dollar, der zweite Film mit knapp zehn Millionen nicht ganz das Dreifache. Und der Regisseur steckte das Geld gezielt nicht in Stars oder teure Kamera-Kranfahrten, sondern vor allem in die Make-up-Effekte, damit die blutrünstige Schlachterei noch echter aussieht.
© Filmszene Silent Hill / Concorde

Generell werden es Splatter-Filme in Zukunft leichter haben, den Weg in die Lichtspielhäuser zu finden. Denn auch das Arthouse- und Popcorn-Publikum gewöhnt sich an Gewaltorgien, die in Filmen wie „Pulp Fiction“ oder „Kill Bill“ mit viel Blutvergießen zelebriert werden, kennt blutige Hinrichtungen aus „Sieben“ und sah in Thrillern wie „Mann unter Feuer“ oder „The Machinist“ einen Finger oder einen Arm fallen. Selbst der Sandalenfilm geht seit „Gladiator“ oder „Alexander“ anders mit den Themen Zweikampf und Kriegshandlung um. Hier sieht man neuerdings die Körperteile fliegen und das Blut im hohen Bogen spritzen. Und in Mel Gibsons „Die Passion Christi“ wurde Jesus Christus so naturalistisch zu Tode geschunden, dass einige Zuschauer angewidert aus dem Kinosessel flüchteten.
© Filmszene Die Passion Christi / Constantin

Auch in den Politfilm hat die Gewalt wieder stärker Einzug gehalten als in den letzten zwei Jahrzehnten. In Steven Gallaghers „Syriana“ verliert George Clooney auf unappetitliche Weise drei Fingernägel, und im umstrittenen türkischen Irakkriegs-Drama „Tal der Wölfe“ gibt es nicht nur grausige Szenen aus dem Foltergefängnis Abu Ghraib zu sehen, sondern auch einen äußerst realistisch dargestellten Selbstmordanschlag, bei dem Körperteile abgerissen und die Verstümmelungen der Opfer gnadenlos zur Schau gestellt werden.
© Filmszene Tal der Wölfe / Maxximum

Woher kommt das plötzliche Interesse an solchen Gewaltdarstellungen? Im Interview mit der Zeitschrift Cinema bringt „Hostel“-Macher Elie Roth eine politische Erklärung für die neue Lust an Folterdarstellungen ins Gespräch: „Die Menschen in Amerika sind schwer verängstigt. Jetzt haben wir diesen Vollidioten zum Präsidenten, der nicht mal New Orleans vor einer Flutwelle schützen kann. Dafür bricht er im Irak einen Krieg vom Zaun. Die Leute wollen ihre Angst und ihren Unmut herausschreien, was aber die Benimmregeln unserer Gesellschaft verbieten. Trotzdem ist das Verlangen da, und Horrorfilme sind dafür ein ideales Ventil.“
© Hostel-Regisseur Elie Roth / Sony Pictures

Auch wenn diese Argumentation ein wenig hinkt, ist das ein Hinweis in die richtige Richtung. Müssen die Menschen möglicherweise nicht nur die Bilder verarbeiten, die aus Abu Ghraib in die Medien gelangten, sondern auch die Tatsache, dass die Täter im Dienst einer westlichen Regierung standen, womöglich gar der eigenen? Noch ein interessanter Aspekt kommt hinzu: In „Hostel“ sind die Folterknechte sadistische Geschäftsleute, die sich auf dem geöffneten Weltmarkt alles kaufen können, sogar das Leben Unschuldiger, das die Ostmafia zum Dumpingpreis verscherbelt. Hier spiegelt sich eine Angst vor der Globalisierung wider, die das Individuum zur Ware werden lässt. Das organisierte Verbrechen ist im ehemaligen Feindesland hinter dem eisernen Vorhang zu Hause, die Nutznießer sind jedoch westliche Kapitalisten mit perversen Neigungen.
© Hostel / Sony Pictures

Roth fand die Anregung für seine Horrorvision auf einer asiatischen Website, auf der Menschen sich aus finanzieller Not als Schlachtopfer anboten. Auch „Rohtenburg“ bezog seine Inspiration aus einer solchen wahren Geschichte: Armin Meiwes fand in einem Internetforum einen Mann, der sich bei lebendigem Leib bereitwillig verspeisen lassen wollte. Hier war die Motivation jedoch nicht finanzieller, sondern sexueller Natur - wie in "Wolf Creek", der angeblich auch auf realen Ereignissen basiert.
© Filmszene Hostel /Sony Pictures

Überhaupt bleibt das Sexualleben der Film-Protagonisten von dieser Tendenz zur Brutalisierung nicht verschont. Minutiös beobachtet David Cronenberg in seinem Drama „A History Of Violence“, wie die Gewalt Einzug hält in die Familie eines bürgerlich gewordenen Ex-Auftragskillers. Als die Übergriffe der Ex-Ganovenfreunde des Protagonisten immer heftiger werden, verroht auch der Sex mit der Gattin.
© Filmszene A History Of Violence / Warner Bros. Ent.

Die Verquickung von Gewalttätigkeit und Sexualität trieb Virginie Despentes im Jahr 2000 mit „Baise-moi“, der Verfilmung ihres gleichnamigen Romans, auf die Spitze. Sie engagierte zwei ehemalige Pornodarstellerinnen, die sich in dieser Thelma-und-Louise-Story für eine am Anfang des Films schonungslos gezeigte Vergewaltigung an der ganzen Männerwelt rächen wollen. In Professionellen-Montur locken sie Machos in Hotelzimmer, um ihnen beim – stets pornografisch gefilmten – Geschlechtsakt das Hirn aus dem Schädel zu ballern. In einigen Ländern durfte der provokante Streifen nur in Pornokinos laufen, in Deutschland war er ab 18 Jahren freigegeben.
© Filmszene Baise-Moi / dpa

Sorgte Gaspard Noés Rache-Drama “Irreversibel“ wegen seiner gewaltsamen und schonungslosen Darstellung einer Vergewaltigung und deren Vergeltung durch eine Blutrache noch bei den Filmfestspielen in Cannes 2003 für einen handfesten Skandal, nahmen 2006 bei der Berlinale Publikum und Kritiker die Vergewaltigungsszenen in Matthias Glasners unblutigerem „Der freie Wille“ weitgehend protestlos hin. Kann das als erstes Anzeichen der Abstumpfung gewertet werden, oder ist es einfach nur die Akzeptanz der Tatsache, dass die Zuschauer offenbar im Moment ein größeres Bedürfnis nach Darstellungen haben, die ihnen das Elend anderer vor Augen führen?
© Filmszene Irreversibel / dpa

Das Betrachten des Leids anderer ist nämlich ein guter Katalysator für die eigenen Ängste. Es versichert den Zuschauer der eigenen Unversehrtheit und lässt seine Situation im Vergleich mit der der Opfer deutlich besser aussehen. Allerdings ist auch zu befürchten, dass der Konsum solcher Streifen nicht nur eine reinigende Wirkung auf die Seele ausübt, sondern auch die Gewaltbereitschaft einer gewissen Klientel fördert. Ein alarmierendes Signal ist, dass minderjährige Kids auf dem Schulhof nicht nur heimlich kopierte Horrorfilme tauschen, sondern auch Foltervideos, die sie mit ihren Fotohandys selbst gedreht haben. Und böse Zungen fragen schon, warum sich jemand über fiktive Folterknechte aufregt, wo doch mittlerweile in niederländischen TV-Shows mit Spenderorganen gehandelt wird.
Mireilla Zirpins
© Filmszene The Hills Have Eyes / 20th Century Fox
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