'Die Karte meiner Träume' mit Helena Bonham Carter und Kyle Catlett

4,5 von 5 Punkten
Ausnahme-Regisseur Jean-Pierre Jeunet ('Die fabelhafte Welt der Amélie‘) ist einer der Großen, wenn es um skurril inszenierte Ästhetik geht - furchtlos und visionär mit Szenen wie auf die Kinoleinwand gepinselt. Entsprechend hoch waren dann auch die Erwartungen an sein neues Werk 'Die Karte meiner Träume‘, eine Romanverfilmung basierend auf dem gleichnamigen Bestseller von Reif Larsen. Jeunet enttäuscht auch dieses Mal nicht und verblüfft dazu noch mit einem ungewohnt emotionalen Tränenfinale.
Von Christina Rings
Mit überschäumender Bildgewalt und vernarrt in Details zeigt er das Abenteuer des blitzgescheiten T.S. Spivet (Was für eine Debütrolle! Kyle Catlett - selbst hochbegabt und fraglos talentiert). Das zehnjährige Genie lebt mit Cowboy-Vater (schroffer Beau: Callum Keith Rennie, 'Fall 39') und Forscher-Mutter (bezaubernd schrullig: Helena Bonham Carter, 'Lone Ranger', 'Dark Shadows') auf einer Ranch mitten im Nichts. Eingeengt in ländlicher Tristesse ergründet der selbsternannte "Leonardo da Vinci von Montana" die Welt durch die Brille der Wissenschaft. Ein toller Kniff, wie Jeunet die Skizzen und Diagramme des Jungen in 3D durch den Kinosaal schweben lässt und so - in der Masse vielleicht etwas zu offensiv - den außergewöhnlichen Intellekt seines Protagonisten exponiert.
Jeunet überrascht mit Emotionen

Der wird bald über die Berge hinaus bekannt, als er mit einer bahnbrechenden Erfindung die Utopie von immerwährender Bewegung entzaubert. Die Kuratorin des Smithsonian-Museums (überzeugend karrieregeil: Woody-Allen-Muse Judy Davis) wittert einen Coup und will T.S. Spivet mit dem prestigeträchtigen Baird-Preis ehren - nichtsahnend, dass ihre 'Entdeckung' noch die Schulbank drückt. Im Morgengrauen schleicht sich der Kleine dann tatsächlich davon und reist auf einem Güterzug tausende Kilometer quer durch die USA nach Washington D.C., um seine Dankesrede zu halten. Ein riskantes Abenteuer, liebevoll inszeniert, das vor allem eins zeigt: der altkluge T.S. ist in Wahrheit eben doch nur ein Kind. Und zwar eines, das wegen des Todes seines Zwillingsbruders Schuldgefühlen hat und sich nach der Liebe seines Vaters sehnt.
Spätestens hier holt Jeunet den Zuschauer endgültig ab und steuert den Film in ein äußerst dramatisches Finale. Ungewohnt für den Franzosen, der sein Publikum sonst subtil und unaufgeregt fühlen lässt, der lieber andeutet als zeigt. Umso eindringlicher wirkt der Effekt, und nur so wird der Film der tragischen Figur T.S. Spivet gerecht. Das Ende driftet dann leicht ins theatralische ab, eine überflüssige Vorblende hätten die Macher auch aus dem Drehbuch streichen können. Doch das ist Klagen auf hohem Niveau. Dem wunderschönen Film kann das nichts anhaben.