Immer öfter kommen Schauspieler auf die Idee, den Platz vor der Kamera mit dem Regiestuhl zu tauschen. Dass das nicht immer gut geht, liegt auf der Hand. Hollywoodstar Ben Affleck bewies allerdings schon mit Filmen wie ’Good Will Hunting’ und ’Gone Baby Gone’, dass er das Zeug zum guten Regisseur hat. Doch gelingt ihm auch sein neuester Streich ’The Town’, in dem er auch gleich die Hauptrolle hat?
Affleck spielt den Ganoven Doug MacRay, der in Bostons Gangsterviertel Charlestown lebt. Als Kopf einer Bande skrupelloser Bankräuber räumt er in regelmäßigen Abständen Banktresore leer und überfällt Geldtransporte. Vor allem sein gefährlicher Komplize Jem (Jeremy Renner, spielte in ’Tödliches Kommando’), der bereits wegen Mordes im Gefängnis saß, macht dabei vor nichts Halt...
Doch eines Tages kommt alles anders: Bei einem Banküberfall nimmt Jem die Bankangestellte Claire Keesey (Rebecca Hall, bekannt durch ’Vicky Cristina Barcelona’) kurzfristig als Geisel. Als die Bande im Anschluss daran herausfindet, dass eben diese Claire auch aus dem winzigen Charlestown stammt, ist Vorsicht geboten. Doug nähert sich ihr, um herauszufinden, wie viel sie von den maskierten Bankräubern mitbekommen hat und ob sie ihnen gefährlich werden kann. Dabei kommt es wie es kommen muss: Er verliebt sich in sie - während seine Kumpels schon den nächsten Überfall planen…
Wer jetzt denkt, der Film entwickle sich vom Actionthriller zur romantischen Liebeskomödie, hat weit gefehlt. Ben Affleck schafft es hier wunderbar, die Abgründe zwischen Dougs Leben als Bankräuber und der aufkeimenden Affäre zu Ex-Geisel Claire zu zeigen. Besonders authentisch ist Dougs Entwicklung vom knallharten Gangster zum Mann, der seine Gefühle entdeckt und sein Leben überdenkt: von Kitsch keine Spur. So sagt Doug seiner Claire im ganzen Film nicht einmal “Ich liebe Dich“. Absoluter Pluspunkt!
Auch beim Aufbau des Films zeigt Ben Affleck seine kreative Seite als Regisseur und macht es eben nicht so wie alle anderen. So werden die Zusammenhänge zu Beginn des Films zwar durch ein kurzes Text-Intro erklärt, doch im Nullkommnichts befindet man sich bereits zwischen fünf vermummten Männern, die ängstliche Menschen auf dem Boden mit ihren Waffen in Schach halten und die Öffnung des Tresors fordern: Der erste - und entscheidende - Banküberfall ist bereits im vollen Gange. Affleck versteht es, die Spannung aufzubauen: Während es beim ersten Überfall noch keine Komplikationen gibt, endet der zweite in einer wilden Verfolgungsjagd mit der Polizei, um vom Ausmaß des dritten Coups nur noch überboten zu werden.
Mit seiner Regieleistung stellt Ben Affleck sein schauspielerisches Können locker in den Schatten: Neben Jeremy Renner und Rebecca Hall sieht er ziemlich blass aus und wirkt zwischenzeitlich leider ein wenig hölzern. Ein Punkt mehr, der dafür spricht, in Zukunft öfter hinter als vor der Kamera aktiv zu werden.
Trotzdem versteht er es, die Zerrissenheit zwischen Dougs Loyalität seiner Bande gegenüber und den aufkeimenden Gefühlen gegenüber Claire sehr glaubhaft darzustellen - als Regisseur UND als Hauptdarsteller. Immer wieder gibt es Situationen, in denen es den Anschein hat, als würde Doug Claire seine Identität im nächsten Moment preisgeben. Auch wenn er mit dem Gedanken spielt, aus den kriminellen Geschäften auszusteigen, wird die Treue zu seinen Komplizen auch immer wieder deutlich. So zum Beispiel in einer Szene, als Doug und Claire in einem Café zufällig Jem über den Weg laufen. Doug kommt ins Schwitzen und versucht krampfhaft, Jems Tattoo im Nacken zu verdecken, von dem er weiß, dass Claire es bei dem Überfall gesehen hat. Im Gegensatz dazu verschweigt er seinem Kumpel diese Tatsache, um Claire zu schützen.
Talentierte Darsteller, eine gute Story und der stimmige Actionanteil trösten über eine manchmal leider zu klischeehafte Darstellung der Figuren und der Konstellationen hinweg: ’The Town’ ist nicht nur Actionfans wärmstens zu empfehlen. Mit diesem Film zeigt Ben Affleck einmal mehr, dass er durchaus das Zeug dazu hat, sich als Regisseur in Hollywood ein zweites Standbein aufzubauen. Denn auf dem Regiestuhl ist er definitiv besser aufgehoben als vor der Kamera. Bitte mehr davon!
Von Maike Nagelschmitz